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Kelwitts Stern

Kelwitts Stern

Titel: Kelwitts Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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mit ihnen in einem Schwarm zu leben! War es möglich, seinen Erbgutspendern frei und unbefangen gegenüberzutreten? Unweigerlich musste sich zu ihnen eine besondere Beziehung entwickeln, musste man sich vergleichen, Beobachtungen anstellen, zu erahnen versuchen, ob man gute oder schlechte Anlagen geerbt hatte.
    Vielleicht war es ein bisschen so, wie es ihm mit seinen Brütern erging. Nur, dass die nichts mit seinen Erbanlagen zu tun hatten. Ihre Beziehung beruhte darauf, dass die Brüter an ihm die Freuden des Brütens erfahren hatten und ihm deswegen gewogen waren – nun ja, wenigstens einige von ihnen, Parktat zum Beispiel – und dass er, da er ihnen nach dem Schlüpfen als ersten Wesen begegnet war, seinerseits besondere Erinnerungen und Gefühle mit ihnen verband.
    S’briina schien ebenfalls sehr nachdenklich zu sein. »Sag mal«, sagte sie nach einer längeren Pause, »wenn das bei euch alles so abläuft, wie du das erzählt hast, mit dem Sekret, dem Meer, den Brustschuppen, den Larven und so weiter – gibt es dann eigentlich bei euch so was wie Sex?«
    Kelwitt sah sie an. »Was ist Sex?«, fragte er.
    Thilo wurde das Gefühl nicht los, dass er eine vertrauliche Unterhaltung unterbrochen hatte, als er, von der Schule kommend, in Sabrinas Zimmer platzte. Das erkläre ich dir ein anderes Mal, sagte Sabrina zu Kelwitt, beinahe verstohlen, und begrüßte ihn dann so freundlich, wie keine einzige Schwester auf der ganzen Welt ihren kleinen Bruder begrüßt, es sei denn, sie will ihn von etwas ablenken.
    Aber er wollte auch nicht fragen. Sabrina mochte es nicht, wenn man in ihren kleinen Geheimnissen herumstocherte; da konnte sie ziemlich schnell ziemlich kratzbürstig werden. Also tat er, als habe er nichts bemerkt.
    Sabrina schwenkte über auf das Thema »Träume«. Kelwitt hatte erzählt, dass es für einen seiner Art als unschicklich galt, Träume zu haben – ein Zeichen dafür, dass etwas mit dem eigenen Leben schiefging – und Sabrina fragte ihn, wie das sei mit Wunschträumen. Sie träume davon, nach dem Abitur eine große Reise nach Südamerika zu machen, mindestens drei Monate lang kreuz und quer durch die verschiedenen Länder zu fahren – sei das nach jambuuranischer Auffassung ebenfalls eine unschickliche Angelegenheit?
    Kelwitt wiegte das Haupt gewichtig. In letzter Zeit schien sein Kopf immer beweglicher zu werden, vielleicht, weil er sich die menschlichen Gesten des Kopfschüttelns und -nickens angeeignet hatte. »Es ist erstaunlich, dass ihr dafür denselben Begriff verwendet wie für die Träume des Schlafs«, meinte er. »Die Träume des Schlafs kommen von selbst, wenn der Punkt der Wahrheit uns warnen will. Das, was du einen Wunschtraum nennst, ist ein Bild, das du selbst erzeugst. Wir verwenden dafür nicht den gleichen Begriff.«
    »Man könnte ›Vision‹ dazu sagen«, schlug Thilo vor. Dabei musste er unwillkürlich an Emma und ihre Visionen denken. Na ja, das traf es vielleicht auch nicht. Wenn Emma von Schwefelregen und Weltuntergang visionierte, hatte das eher Ähnlichkeit mit einem epileptischen Anfall als mit einem Wunschtraum.
    Thilo hing den ganzen Tag an ihnen wie eine Klette, fragte Kelwitt Löcher in den Bauch über das Weltall und die Sterne und die Technik, die erforderlich war, um sie zu bereisen. Dabei wusste Kelwitt darüber ungefähr so viel wie Thilo über die Technik von Strahltriebwerken, also nichts.
    Kelwitt schien nichts dabei zu finden, im einen Moment über Fortpflanzung zu sprechen und im nächsten über Fortbewegung. Konnte das wirklich wahr sein, dass er nicht wusste, was Sex war? Dass es das bei seiner Spezies nicht gab? Wahrscheinlich, überlegte Sabrina, war es nur ein Übersetzungsproblem.
    Sie würde dem nachgehen, sobald sie und Kelwitt wieder allein waren.
    Der Nachmittag verging irgendwie blitzschnell, obwohl sie nur über alles Mögliche quatschten und noch einmal einen Versuch mit »Mensch« ärgere dich nicht! machten, bei dem diesmal Thilo gewann, aber nur knapp. Und in drei Tagen würde Kelwitt gehen! Sabrina spürte ein heißes, schmerzhaftes Ziehen im Leib bei diesem Gedanken. Es gefiel ihr gar nicht, dass die Zeit immer schneller und schneller zu vergehen schien. Wie die großen Ferien: Die ersten Tage vergehen langsam, genussvoll, langsam dahinschmelzend wie die oberste Schicht eines großen Eisbechers – doch dann nimmt die ganze Sache Fahrt auf, und ratsch, ratsch, fliegen ganze Wochen dahin, ehe man sich versieht, und im Nu steht der

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