Kelwitts Stern
Keinen Moment eher.«
Zum ersten Mal sagte der andere Typ auch etwas. »Hermann«, wandte er sich an seinen Kollegen, »du hast mir nicht gesagt, dass jemand an Bord war.«
»Das erklär’ ich dir später«, zischte der Mann mit den vielen Pflastern. Er suchte wieder in allen Taschen nach seinem Ausweis, wieder ohne Erfolg. »Hören Sie«, meinte er dann und legte seine Blutergüsse in grimmige Falten, »das ist hier kein Räuber-und-Gendarm-Spiel oder so was. Hier geht’s um eine Menge. Um die Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland, falls Ihnen das was sagt. Sie kriegen Ihr Geld – aber wir brauchen diesen Flugkörper! Jetzt!«
Der Brunnenwirt schob seinen nicht unbeträchtlichen Bauch auf ihn zu. Drohen konnte er auch. »Red’ ich zu undeutlich?«, fragte er und schubste ihn ein wenig vor sich her. »Versteh’n Sie meinen Dialekt nicht? Soll ich’s Ihnen aufschreiben? Erst das Geld – dann der Flugkörper. Punkt. Ende der Diskussion.«
Der andere hob die Hände. »Okay, okay. Schon gut. Ich werd’ sehen, was ich für Sie tun kann.«
»Erst Geld, dann Flugkörper!« wiederholte der Brunnenwirt mit diabolischem Ingrimm.
»Vielleicht kann ich den Dienstweg etwas beschleunigen …«
»Erst Geld, dann Flugkörper!«
»Oder sogar ganz dran vorbeigehen …«
»Erst Geld, dann Flugkörper!«
»Eine Abschlagszahlung erwirken. Ja, das müsste möglich sein …«
»Erst Geld, dann Flugkörper!«
Er schien zu schwitzen in seinem schäbigen Parka und unter all den Pflastern. »An, ähm, welche Summe dachten Sie denn …?«
»Wie ist das eigentlich bei euch?«, fragte Sabrina, immer noch massierend und allmählich kühner werdend. »Um dieses Sekret ins Meer abzugeben – dazu braucht man niemand anderen, oder?«
»Nein. Das geht von selbst. Das Sekret wird ständig abgegeben.«
»Wie sieht das aus?«
»Das sieht man nicht. Es sind nur ein paar Tropfen pro Tag.«
»Und die Larven? Wie setzen die sich unter den Brustschuppen fest?«
»Beim Schwimmen im Meer.«
»Schwimmt man da allein?«
»Das ist egal. Wenn sich eine Fortpflanzungszelle im reifen Stadium unter einer Brustschuppe verfängt, wächst sie zur Larve heran.«
»Und wie groß werden die, ehe sie wieder abgehen?«
Kelwitt deutete etwa die Größe einer Kirsche an. »So ungefähr.«
»Geschieht das auch wieder im Meer?«
»Ja.«
Sabrinas Finger ertasteten, tief unten an der vorderen Seite seines Körpers, das obere Ende einer der länglichen Falten, die sich entlang seiner Hüfte bis zu den Beinen hinzogen. Es fühlte sich warm und knubbelig an, und Sabrina fragte sich, was in diesen Falten verborgen sein mochte. »Tut es weh, wenn eine Larve abgeht?«
»Nein. Man sagt, es sei angenehm.«
»Und dann verpuppen sich die Larven, werden angeschwemmt und geben Lockstoffe ab, damit sie bebrütet werden«, rekapitulierte Sabrina. Was für eine seltsame Art des Liebeslebens! »Macht man das auch allein, das Brüten?«
»Meistens zu mehreren. Man wechselt sich ab.«
»Klingt alles sehr unlustig«, meinte sie.
Aber sie erinnerte sich, dass sie, als sie das erste Mal in einem »Aufklärungsbuch« gelesen hatte, das alles auch absolut schrecklich fand. Der Mann führt sein erigiertes Glied in die Scheide der Frau ein. Wie das geklungen hatte! Ein medizinischer Vorgang, kalt, technisch, eklig. Wie die Beschreibung einer Operation. Etwas, das man notgedrungen auf sich nehmen musste, wenn man Kinder wollte. Dass man es freiwillig tun, dass es sogar Spaß machen könnte, auf diese Idee wäre man bei der Lektüre des Buches niemals gekommen. Diese Entdeckung hatte sie später selber machen müssen. Und irgendwie hatte sie immer noch das Gefühl, dass ihr dafür im Grunde eine Art Nobelpreis zustand.
»Ich muss dir mal erklären, wie das bei den Menschen so läuft«, sagte sie versonnen und stellte sich vor, mit ihrem ganzen Körper das zu tun, was sie gerade mit den Händen tat. Eine Vorstellung, die ihren Atem beschleunigte.
»Ja, das wäre interessant«, meinte Kelwitt arglos. »Aber können wir nun mit der Massage aufhören?«
Sabrinas Hände zuckten erschrocken von ihm zurück.
»Gefällt es dir nicht?«
»Doch. Aber es ändert nichts an den Schmerzen. Und es wird Zeit, den Feuchteanzug wieder anzuziehen. Meine Haut fängt schon an auszutrocknen.«
Das Haus des Holzgroßhändlers Joe Duggan, selbstverständlich ganz aus Holz gebaut, stand am Ufer des Lake Superior, und vom Frühstückstisch aus hatte man einen großartigen
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