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Kelwitts Stern

Kelwitts Stern

Titel: Kelwitts Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Blick über die vorgelagerten Inseln.
    »Deine Freundin aus Deutschland hat sich dieses Jahr gar nicht gemeldet«, meinte Joe an diesem Morgen zu seiner Frau. »Gabriele, du weißt schon. Sonst schreibt sie immer zu deinem Geburtstag oder ruft an.«
    »Oh, sie hat gestern angerufen«, erwiderte Eva-Maria und erzählte die Geschichte vom verstauchten Arm und dem Außerirdischen.
    Joe lachte, dass sein nicht unbeträchtlicher Bauch wackelte. »Das muss ich Leroy erzählen«, brachte er schließlich heraus. »Er sammelt tolle Ausreden, weißt du? Will mal ein Buch darüber schreiben, wenn er im Ruhestand ist.«
    Leroy Tubbs war sein Buchhalter und ältester Angestellter, und Duggan würde es nicht leicht fallen, ihn in den Ruhestand gehen zu lassen. Die Geschichte von der Lehrerin aus Stuttgart, Deutschland, die von einem Außerirdischen so erschreckt worden war, dass sie vom Fahrrad stürzte und zum Arzt musste und deshalb am Geburtstag ihrer Freundin nicht anrufen konnte, erzählte er ihm, während sie beide nebeneinander in der Toilette standen und ihr Geschäft verrichteten, und Leroy amüsierte sich prächtig, wie Joe Duggan es geahnt hatte.
    Von den beiden unbemerkt, hatte George Bell, ein schmächtiger Lehrling, der an diesem Tag keine rechte Lust zu arbeiten hatte und sich deshalb so lange und so oft wie möglich auf die Toilette verdrückte, ihre Unterhaltung mitgehört. Zumindest Teile davon. George Bell hatte öfter keine rechte Lust zu arbeiten, weil er öfter sehr müde war. Und er war öfter sehr müde, weil er die Nächte damit verbrachte, stundenlang im Internet zu surfen, und zu entsprechend wenig Schlaf kam. Als er an diesem Abend heimkam, schaltete er sofort den Computer an und platzierte die Geschichte, ein wenig abgeändert und ausgeschmückt, in einschlägigen Newsgroups, die sich mit Außerirdischen, UFOs und ähnlichen Phänomenen befassten.
    Im Lauf der nächsten vierundzwanzig Stunden erfuhren mehrere Tausend Menschen überall auf der Welt, dass eine Grundschullehrerin in Stuttgart, Deutschland, von einem Außerirdischen angefallen und verletzt worden war.
    Etliche glaubten es sogar.
    »Ich bin heut’ Nachmittag im Heim«, erklärte Thilo, der nun endlich auch Ferien hatte, beim Mittagessen. Das nahm man ohne Kommentar zur Kenntnis.
    Seine Mutter wandte sich an Sabrina. »Wann will Kelwitt denn jetzt endlich was essen?«
    »Morgen oder übermorgen«, antwortete Sabrina und stocherte auf ihrem Teller herum. Sie wirkte etwas geistesabwesend. »Er sagt, er muss erst … Naja, vielleicht ist das kein Thema für den Tisch.«
    »Was?«, wollte Thilo nun erst recht wissen. »Muss er vorher aufs Klo? Booah, das kann was werden – die Scheiße von einem ganzen Monat auf einmal …!«
    »Thilo!«
    Nach Mittag ging Thilo tatsächlich ins Altenheim hinüber, aber nur, um Bescheid zu sagen, dass er erst kurz nach fünf kommen würde. Kurz danach saß er schon im Bus und fuhr in die Stadt.
    Emma war erst mal wieder ziemlich konfus drauf, als er ankam.
    Wie immer setzte er sich erst mal ruhig in eine Ecke und ließ sie umherwuseln, trank gehorsam den Tee, den sie kochte – es war nicht der Tee, der sie beruhigte, sondern der Vorgang, ihn zuzubereiten, deshalb ließ er sie immer gewähren; Tee als Getränk konnte er ansonsten nichts abgewinnen.
    »Das neue Zeitalter steht bevor«, erklärte sie ihm mit einem unsteten Blick, der die Wände hoch und die Decke entlangglitt und so wirkte, als sehe sie etwas, das weit dahinter lag. »Ich kann es spüren, wenn ich durch die Stadt gehe. Ich kann es spüren, wenn ich mit den Menschen rede. Das Alte langweilt sie, sie haben genug davon, sie wollen einen Aufbruch, einen Neubeginn, eine Tür, die sich öffnet und sie in endlose Weiten blicken lässt. Ja, das wollen sie – das Neue. Sie sehnen es herbei. Sie würden alles, was sie haben, geben dafür. Wenn sie nur wüssten, in welche Richtung es geht, dann würden sie aufbrechen, ohne einen Augenblick zu zögern …«
    Thilo schlürfte seinen Tee, der nach Jasmin roch und nach Weihrauch. Sybillas Brust bebte und wogte, während sie redete, und das zu sehen ließ den Platz in seiner Jeans eng werden. Sie trug wallende Gewänder, die sie sich selber aus bunten, dünnen Seidenstoffen schneiderte. Thilo wusste, dass sie darunter niemals einen BH trug.
    »Es kann in jede beliebige Richtung gehen, verstehst du? Wie soll ich das sagen? Da ist diese ganze Energie … angestaut … alle warten … und der erste Impuls wird

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