Kelwitts Stern
alles in eine Richtung in Bewegung setzen, und dann wird es unaufhaltsam sein. Unaufhaltsam. Das kann ein Krieg werden oder ein Aufstieg in neue Ebenen des Bewusstseins. Das kann der Himmel werden oder die Hölle. Es kommt nur auf den Impuls an. Und der wird kommen, demnächst. Nur noch ein paar Tage, höchstens Wochen. Die Zeit ist reif. Die Zeit ist wie eine Gewitterwolke, in der ein Blitz nur darauf wartet, einzuschlagen – irgendwo.«
»Und was willst du tun?«, fragte Thilo beeindruckt.
»Nicht dort sein, wo er einschlägt«, sagte Sybilla schlicht. Sie stellte ihre Tasse ab und setzte sich hinüber auf das Bett.
»Aber wie? Woher willst du wissen, wo er nicht einschlagen wird?«
Sie klopfte leicht mit der Hand neben sich auf die Matratze, für Thilo das lang erwartete Signal, ihr zu folgen. Sie roch würzig, auf eine unbeschreibliche Weise überwältigend, als er sich neben sie setzte. »Das werde ich wissen«, erklärte Sybilla. »Ich habe nicht meine Intuition die ganzen Jahre geübt und geübt, um das dann nicht zu wissen. Ich hab ja nichts anderes getan, weißt du? Alles war nur Intuition, mein ganzes Leben lang. Ich werde es wissen, das versprech’ ich dir, und ich werde kommen und dich abholen, und wir werden an einem sicheren Ort warten, bis die Erschütterungen vorbei sind. Danach muss man weitersehen.« Sie lächelte ihn an. »Und während wir warten«, meinte sie vielsagend, »vertreiben wir uns irgendwie die Zeit …«
Wolfgang Mattek kam an diesem Tag früher als sonst aus dem Büro, und vor allem gelöster als sonst. »Du glaubst nicht, was heute angekommen ist«, erklärte er Nora, während er den Mantel auszog. »Die Lieferung von Chem-Tech! Mit zehn Tagen Verspätung, das ist wirklich unglaublich. Anscheinend hat der Fahrer irgendwo in Rumänien eine eigenmächtige Pause eingelegt; hatte wohl was mit einer Frau zu tun, die er da kennengelernt hat.«
»Wie romantisch«, meinte Nora verträumt.
»Romantisch? Na ja, ich weiß nicht. Liegt mit ihr im Bett, und draußen auf dem Hof steht ein Laster mit ein paar Tonnen Sprengstoff …?«
Jedenfalls, erzählte er weiter, seien die Männer im Lager jetzt beschäftigt mit dem Abladen und Einlagern, und er werde morgen nur noch kurz ins Büro gehen und an Heiligabend möglichst gar nicht mehr, und dann sei erst mal Weihnachten. »Und so lange weiß ich dann nicht mal, wie man Feuerwerk schreibt!«, versprach er seiner Frau und küsste sie.
»Uuh!«, machte die, als er sie wieder losließ. »Aber deine Lippen wissen es noch!«
Wolfgang lächelte geschmeichelt und strich sich vor dem Spiegel die Haare zurecht. »Wie geht’s denn unserem Gast aus der Milchstraße?«
Er drehte sich um, als Schweigen war anstelle der Antwort, die er erwartet hatte.
»Nicht so gut«, sagte Nora leise. Sie wirkte, als fühle sie sich schuld daran. »Er sagt, er habe Schmerzen, die seit ein paar Tagen schlimmer werden. Er meint, es läge an der Badewanne. Sie hat nicht die richtige Form.«
»Du meine Güte«, erwiderte Mattek. »Man kann ja auch kaum erwarten, dass wir auf so einen Besuch eingerichtet sind!«
In diesem Moment klappte oben eine Tür, und Sabrina kam die Treppe herunter. Kelwitt schlafe immer noch, den ganzen Nachmittag schon, berichtete sie.
»In der Badewanne, die nicht die richtige Form hat?«, fragte ihr Vater zurück.
Sabrina zuckte mit den Schultern. »Was soll er denn sonst machen?«
»Naja, das ist die Frage … Was denkst du? Liegt es wirklich an der Form der Badewanne?«
»Jedenfalls hat er die Schmerzen immer nach dem Aufstehen.«
»Hmm. Das ist natürlich ein Problem. Wie müsste denn so ein Ding aussehen, so eine … wie sagen die dazu?«
»Eine Schlafmulde.«
»Ja, genau. Hast du ihn mal gefragt, wie die aussieht?«
Sabrina nickte. »Ziemlich flach. Er hat erzählt, dass die Jombuuraner, die ganz auf Technik verzichten, einfach im flachen Wasser am Strand schlafen.«
»Also im Prinzip«, resümierte ihr Vater, nun wieder ganz der Geschäftsführer beim Lösen eines unvorhergesehenen Problems, »ein flaches Bett, das Kopfende leicht angehoben und von ein paar Zentimetern Wasser überspült. Oder? So dürfte doch auch auf Jombuur ein Strand aussehen?«
»Ich denke schon«, meinte Sabrina. »Was hast du vor? Mit ihm nach Gran Canaria fliegen?«
»So viel Aufsehen wollte ich eigentlich vermeiden. Nein, erinnerst du dich an das aufblasbare Planschbecken, das wir früher im Garten hatten, als ihr noch klein wart? Das müsste doch
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