Kennedy-Syndrom - Klausner, U: Kennedy-Syndrom
»Allmählich wird mir die Angelegenheit wirklich zu bunt«, erboste er sich, kurz davor, seine Wut an einem Briefbeschwerer abzureagieren, den er mit der rechten Hand umklammert hielt. »Höchste Zeit, dass wieder mal ein paar Köpfe rollen.«
»Tut mir leid, Genosse Kommandeur, aber das ist längst noch nicht alles.« Kulikowski schluckte, brachte indes nach kurzem Zögern den Mut auf, den Funkspruch hervorzukramen, welchen er in seiner Uniformjacke verwahrt hatte. »Erst ein paar Minuten alt, Genosse«, erläuterte er mit Leichenbittermiene. »Von einem unserer Kommandeure.«
Auf das Schlimmste gefasst, riss Konew seinem Adlatus das ockerfarbene Blatt aus der Hand, las es und wurde feuerrot im Gesicht. »Was hat denn das jetzt schon wieder zu bedeuten?«, schimpfte er, auf dem besten Weg, endgültig die Fassung zu verlieren. »Ein Wrack, vermutlich amerikanisches Militärflugzeug? Was zum Teufel soll das heißen? Vermutlich – wenn ich das schon höre. Sagen Sie mal, Kulikowski – sind die da draußen tatsächlich so dämlich, wie sie tun? Zu dumm, um ein amerikanisches Flugzeug zu identifizieren, das muss man sich mal vor …«
»Nicht zu dumm, Genosse Sowjetmarschall, sondern schlicht und einfach nicht in der Lage.«
»Wieso, verdammt noch mal?«
»Zum einen, weil die Wrackteile über eine Fläche von mehreren Quadratkilometern verstreut sind. Das kann dauern, Genosse Kommandeur, so wie es aussieht, mindestens bis morgen früh.«
»Nur keine kapitalistische Hast!«, flüchtete sich Konew in Galgenhumor, drehte Kulikowski den Rücken zu und schirmte sein Gesicht gegen das grelle Abendrot ab, das ihm durch das Fenster entgegenflutete. »Und zum anderen?«
»Es mehren sich die Anzeichen, Iwan Stepanowitsch, derentwegen man zu dem Schluss kommen kann, dass es an Bord des amerikanischen Flugzeugs vor dem Absturz zu einer heftigen Explosion gekommen ist. So zumindest die Augenzeugen aus einem Dorf in der Nähe. Dermaßen heftig, dass es unseren Spezialisten schwerfallen dürfte, sämtliche Wrackteile zu bergen.«
»Wozu auch. Überlebende dürfte es wohl kaum gegeben haben.«
Kulikowski schlug seine mandelförmigen Augen weit auf und ließ den Blick zwischen seinen auf Hochglanz polierten Stiefeln hin und her wandern. »Bei allem gehörigen Respekt, Genosse Oberkommandierender. Ich denke, Sie ziehen die falschen Schlüsse.«
»Ach, ja? Dann seien Sie bitte so gut und klären mich auf.« Konew rieb den Zeigefinger an seiner Nase und hielt es offenbar nicht für nötig, seinem Adjutanten ins Gesicht zu blicken. »Wer weiß, vielleicht machen Sie am Ende noch Karriere. In Sibirien, meine ich.«
An diese und andere Drohungen längst gewöhnt, ließ sich Kulikowski jedoch nicht beirren. »Das eigentlich Erstaunliche an der Sache ist nämlich, dass unsere Experten nicht die geringste Spur menschlicher Überreste entdeckt haben.«
»Wie auch, bei einer derartigen Explosion.«
»Damit wir uns richtig verstehen, Genosse: keinerlei Spuren. Keine Leichenteile, Kleidungsstücke – nichts.« Um seine Pointe richtig zu platzieren, schwieg sich Konews Adjutant geraume Zeit aus. »Und auch keine Uniformen. Meiner Ansicht nach ein Indiz dafür, dass sich die Besatzung zum Zeitpunkt der Explosion nicht mehr an Bord befunden hat.«
»Aber wieso … ich meine, weshalb … Moment mal, Sie wollen doch nicht etwa damit sagen, dass …«
Zum ersten Mal seit seinem Eintreten huschte ein Lächeln über Kulikowskis wettergegerbtes, von dunklen Bartstoppeln besprenkeltes Gesicht. »Dass die Amerikaner irgendeine Teufelei ausgeheckt haben, in der Tat! Fragt sich nur, welche.«
FÜNF
›Auch der westdeutsche Nachrichtendienst BND schnappte dies und jenes auf. (…) Tatsächlich hatte Chruschtschow Ulbrichts Plan einige Tage zuvor schließlich sein Plazet erteilt.‹
(Aus: Frederick Taylor: Die Mauer, 13. August 1961 bis 9. November 1989. München 2009, S. 195)
URANUS
Rangsdorf / Berlin
(13.08.1961)
19
Sowjetische Raketenbatterie nördlich von Rangsdorf, knapp zehn Kilometer vom amerikanischen Sektor entfernt | 20.05 h
Auf seine Beförderung zum Feldwebel und seine nagelneue olivfarbene Uniform
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