Kennedys Hirn
Plasma interessiert und pumpten das Blut zurück in die Körper der Bauern. Aber sie reinigten die Nadeln nicht. Und da gab es einen Mann, der ein paar Jahre zuvor eine Provinz an der Grenze zu Thailand besucht hatte. Dort hatte er auf die gleiche Art und Weise sein Blut verkauft, und damals war das Aidsvirus mit zurückgeflossen in seine Blutbahn, wie es jetzt in den Körpern der anderen Bauern verschwand. Bei einer Gesundheitskontrolle im Frühjahr 1997 hatten die Ärzte entdeckt, daß ein großer Teil der Bevölkerung in einer Reihe von Dörfern mit Aids infiziert war. Viele waren schon gestorben oder sehr krank.
Da trat die zweite Phase dessen ein, was der Aids Report »die Katastrophe von Henan« nannte. Eines Tages tauchte in einem der Dörfer ein Ärzteteam auf. Sie boten den Kranken einen neuen Typ von Medikament an, das sich BGB-2 nannte. Die Behandlung wurde von Cresco bereitgehalten, einem Unternehmen in Arizona, das verschiedene Formen antiviraler Medikamente entwickelte. Die Ärzte boten den armen Bauern an, das Medikament gratis zu verabreichen, und versprachen ihnen, daß sie wieder gesund werden würden. Aber BGB-2 war von der chinesischen Gesundheitsbehörde nicht zugelassen. Dort kannte man es nicht einmal und wußte nichts von den Ärzten und Krankenschwestern, die in die Provinz Henan gereist waren. Tatsächlich wußte niemand, ob BGB-2 überhaupt wirkte oder welche Nebenwirkungen es haben konnte.
Einige Monate später bekamen einige der behandelten Bauern hohes Fieber, wurden völlig kraftlos, bluteten aus den Augen und litten unter Ausschlag, der nur schwer heilte. Immer mehr starben. Plötzlich waren die Ärzte und Krankenschwestern verschwunden. Niemand sprach mehr von BGB-2. Das Unternehmen in Arizona leugnete jede Kenntnis des Sachverhalts, wechselte den Namen und verlegte seinen Sitz nach England. Der einzige, der bestraft wurde, war ein Mann, der in den Dörfern umhergefahren war und Blut gekauft hatte. Er wurde wegen schweren Steuervergehens verurteilt und hingerichtet, nachdem ein Volksgerichtshof ihn zum Tode verurteilt hatte.
Louise streckte den Rücken.
»Hast du alles gelesen? Henrik war außer sich. Ich auch. Wir dachten beide das gleiche.«
»Daß etwas Derartiges auch hier passieren könnte?«
Lucinda nickte. »Arme Menschen reagieren auf ganz ähnliche Weise. Warum auch nicht?«
Louise versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Sie war müde, hungrig, durstig, aber vor allem verwirrt. Und sie mußte sich gegen das Bild von Umbis Kopf wehren, gegen den Tod, der ihr seine Fratze gezeigt hatte.
»Hatte Henrik schon Kontakt zu Christian Holloway und seiner Arbeit in Xai-Xai, als ihr hier wart?«
»Es war viel später.«
»War es, bevor er angefangen hatte, sich zu verändern?«
»Es war ungefähr gleichzeitig. Er kam eines Morgens zu mir, er wohnte bei Lars Häkansson und bat mich, ihm ein Internetcafe zu zeigen. Er hatte es eilig. Ausnahmsweise war er ungeduldig.«
»Warum benutzte er nicht Lars Häkanssons Computer?«
»Ich weiß noch, daß ich ihn das auch gefragt habe. Er schüttelte nur den Kopf und sagte, ich solle mich beeilen.«
»Mehr nicht? Denk nach! Es ist wichtig.«
»Wir gingen zu diesem Cafe hier, das also gerade eröffnet worden war. Es nieselte. Wir hörten Donner in der Ferne. Ich sagte, daß es vielleicht einen Stromausfall geben würde, wenn das Gewitter über die Stadt zöge.«
Lucinda verstummte. Louise sah, daß sie ihre Erinnerung durchsuchte. Das Bild des toten Umbi tauchte wieder vor ihr auf. Ein armer Bauer unter sterbenden Aidskranken, der ihr etwas Wichtiges hatte sagen wollen. Louise fröstelte trotz der warmen und feuchten Luft im Lokal. Sie hatte das Gefühl, vor Unreinheit zu stinken.
»Er sah sich auf der Straße um. Jetzt fällt es mir wieder ein. Zweimal blieb er abrupt stehen und sah sich um. Ich war so erstaunt, daß ich gar nicht auf die Idee kam, ihn zu fragen, warum er es tat.« »Sagte er selbst etwas?«
»Ich weiß nicht. Wir gingen nur weiter. Er drehte sich noch einmal um. Das war alles.« »Hatte er Angst?«
»Das ist schwer zu sagen. Vielleicht war er besorgt, ohne daß ich es bemerkte.« »Fällt dir sonst noch etwas ein?«
»Er saß eine knappe Stunde am Computer. Er arbeitete sehr konzentriert.«
Louise versuchte, das Bild vor sich zu sehen. Sie hatten an einem Tisch in einer Ecke gesessen. Von dort konnte Henrik, wenn er den Kopf hob, sehen, was auf der Straße geschah. Aber er selbst war hinter dem Computer
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