Kennedys Hirn
heimlich etwas erzählen will, wird bestialisch ermordet. Es hätte Aron sein können, der mit durchschnittener Kehle dort gelegen hat.
Plötzlich wurde ihr übel, sie lief zur Toilette und erbrach sich. Hinterher sank sie auf dem Badezimmerfußboden zusammen. Ihr war, als würde sie von einem Strudel in die Tiefe gezogen. Vielleicht war sie jetzt endlich auf dem Weg hinab in die Tiefe von Arturs bodenlosem See mit dem schwarzen Wasser?
Sie blieb auf dem Fußboden sitzen und kümmerte sich nicht um den Kakerlak, der vorbeieilte und in einem Loch in den Kacheln hinter den Wasserrohren verschwand.
Ich muß anfangen, die Scherben zusammenzustückeln. Es gibt mehrere verschiedene Muster, die ich zu deuten habe. Ich muß das gleiche machen, was ich mit alten Krügen mache, mich mit stalagmitischer Geduld probierend vorwärts tasten.
Das Bild, das sie entwarf, war unerträglich. Zuerst entdeckt Henrik, daß er HIV-positiv ist. Dann erkennt er, daß skrupellose Experimente an Menschen durchgeführt werden, um einen Impfstoff oder ein Heilmittel gegen die Krankheit zu finden. Außerdem ist er irgendwie in eine Erpressung von Christian Holloways Sohn verwickelt, der sich das Leben nimmt.
Sie versuchte, die Stücke von unterschiedlichen Seiten an-einanderzulegen, und ließ Lücken für Scherben, die ihr noch fehlten. Aber die verschiedenen Fragmente ließen sich nicht festlegen.
Sie drehte das Bild um. Ein Erpresser rechnet kaum damit, daß sein Opfer sich das Leben nimmt. Der Sinn der Sache ist, daß das gezahlte Geld dem Opfer Schweigen garantiert.
Wenn Henrik nicht damit gerechnet hatte, daß die Erpressung zu Steve Nichols' Tod führen würde, wie reagierte er, als er erfuhr, was geschehen war? Mit Achselzucken? Mit Scham ?
Die Scherben antworteten nicht.
Sie versuchte, einen Schritt weiterzugehen. Konnte Henrik einen Erpresser erpreßt haben? War Steve Nichols sein Freund gewesen? Hatte Henrik durch ihn von Christian Hol-loways Tätigkeit in Afrika erfahren? Wußte Steve Nichols, was eigentlich in Xai-Xai vor sich ging, hinter der schönen Fassade von liebevollem ideellem Engagement?
Alles stockte, als sie zum letzten Glied ihrer Gedankenkette gelangte. War Umbis Tod ein Anzeichen von etwas, was mit den Vorgängen im fernen Henan vergleichbar war?
Sie lag noch halbwegs auf dem Badezimmerfußboden, den Kopf gegen die Toilettenschüssel gelehnt. Die Klimaanlage übertönte alle anderen Geräusche. Dennoch wußte sie plötzlich, daß jemand unmittelbar hinter ihr stand. Sie drehte sich mit einer heftigen Bewegung um.
Lars Hakansson betrachtete sie.
»Sind Sie krank?«
»Nein.«
»Und warum zum Teufel liegen Sie dann im Badezimmer auf dem Boden? Wenn Sie mir die Frage gestatten?«
»Ich habe mich übergeben und bin nicht wieder hochgekommen.«
Sie stand auf und machte ihm die Tür vor der Nase zu. Ihr Herz hämmerte vor Angst.
Als sie aus der Toilette trat, saß er mit einem Bierglas in der Hand da. »Geht es Ihnen besser?«
»Es geht mir gut. Vielleicht habe ich etwas gegessen, was mir nicht bekommen ist.«
»Wenn Sie schon ein paar Wochen hier wären, würde ich Fragen nach Kopfschmerzen und Fieberanfällen stellen.«
»Ich habe keine Malaria.«
»Noch nicht. Aber Sie nehmen nichts zur Vorbeugung, wenn ich mich recht erinnere?«
»Sie haben vollkommen recht.«
»Wie war Ihre Reise nach Inhaca?«
»Woher wissen Sie, daß ich da war?«
»Jemand hat Sie gesehen.«
»Jemand, der wußte, wer ich bin?«
»Jemand, der wußte, wer Sie sind!«
»Ich habe gegessen und geschlafen und bin geschwommen. Außerdem habe ich einen Mann getroffen, der Bilder malt. «
»Delphine? Schwerbrüstige Frauen, die in einer Reihe tanzen? Er ist ein eigentümlicher Mann, der auf Inhaca an Land getrieben ist, ein faszinierendes Schicksal.«
»Ich mochte ihn. Er hat ein Bild von Henrik gemalt, sein Gesicht unter vielen anderen Gesichtern.«
»Die Porträts von lebenden Personen, die ich gesehen habe, waren selten gelungen. Ein Künstler ist er nicht, er hat kein bißchen Talent.«
Louise war empört über seinen verächtlichen Tonfall.
»Ich habe schon Schlimmeres gesehen. Vor allem habe ich viele Künstler gesehen, die eher für ihre Anmaßung gefeiert wurden als für ein Talent, das ihnen gänzlich abging.«
»Natürlich kann mein Urteil darüber, was gute Kunst ist, sich nicht mit dem einer klassisch geschulten Archäologin messen. Als Berater beim Gesundheitsministerium des Landes diskutiere ich normalerweise ganz
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