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Kennedys Hirn

Kennedys Hirn

Titel: Kennedys Hirn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Stockholm gefunden. Haben Sie ihn dort einmal besucht?«
    »Ich war noch nie in Schweden.« »Er lag tot im Bett. Sein Körper war voller Schlafmittel. Daran ist er gestorben. Aber warum hat er sich das Leben genommen?«
    Eine der jungen Frauen kam an den Tisch und fragte nach Feuer. Lucinda zündete ihr die Zigarette an. Als die Flamme aufleuchtete, sah Louise das ausgemergelte Gesicht dieses jungen Mädchens.
    Schwarze Flecken auf den Wangen, notdürftig übertüncht, gepudert. Über die Symptome von Aids habe ich gelesen. Die schwarzen Punkte und schwer heilenden Wunden des Todes.
    Lucinda saß reglos. »Ich kann es nicht verstehen.«
    »Niemand kann es verstehen. Aber vielleicht können Sie mir helfen. Kann es mit Afrika zu tun haben ? Er war Anfang des Sommers hier. Was ist da geschehen?«
    »Nichts, was ihn dazu hätte bringen können, sterben zu wollen.«
    »Ich muß wissen, was gewesen ist. Wer war er, als er ankam, welche Menschen hat er getroffen? Wer war er, als er wieder abreiste?« »Henrik war immer derselbe.«
    Ich muß ihr Zeit lassen, dachte Louise. Sie steht unter Schock durch das, was ich ihr erzählt habe. Zumindest weiß ich jetzt, daß Henrik ihr etwas bedeutet hat.
    »Er war mein einziges Kind. Ich hatte nur ihn, sonst niemand.«
    Louise nahm ein flüchtiges Blinken in Luandas Augen wahr, eine Verwunderung, vielleicht eine Unruhe. »Hatte er keine Geschwister?« »Nein, er war ein Einzelkind.«
    »Er hat gesagt, er habe eine Schwester. Er wäre der jüngere.« »Das ist nicht wahr. Ich bin seine Mutter. Ich muß es wissen.«
    »Woher soll ich wissen, daß Sie die Wahrheit sagen?« Louise wurde ärgerlich.
    »Ich bin seine Mutter und bin vollkommen außer mir vor Trauer. Es kränkt mich, wenn Sie daran zweifeln, wer ich bin. « »Ich meine es nicht böse. Aber Henrik hat immer von seiner Schwester gesprochen.«
    »Er hatte keine Schwester. Aber vielleicht wollte er eine haben.«
    Die Mädchen an den Wänden verließen nach und nach die Bar. Bald waren Louise und Lucinda allein in der Stille und der Dunkelheit, nur die Bedienung hinter dem Tresen war noch da, vertieft in die Aufgabe, einen Daumennagel zu feilen. »Sie sind so jung. Die Mädchen, die hier saßen.« »Die jüngsten sind am begehrtesten. Südafrikanische Männer, die hierherkommen, lieben Elf- und Zwölfjährige.« »Bekommen sie keine Krankheiten?«
    »Sie meinen Aids? Die, der ich die Zigarette angezündet habe, ist krank. Aber all die anderen nicht. Im Unterschied zu vielen anderen in ihrem Alter wissen diese Mädchen, worum es geht. Sie nehmen sich in acht. Es sind nicht in erster Linie sie, die sterben oder die Krankheit weiter verbreiten.«
    Aber das tust du, dachte Louise. Du hast sie ihm gegeben, du hast die Tür geöffnet, so daß der Tod sich in seinen Blutkreislauf einschleichen konnte.
    »Die Mädchen hassen das, was sie tun. Aber ihre Kunden sind nur weiße Männer. Deshalb können sie zu ihren Freunden sagen, daß sie nicht untreu sind. Sie schlafen nur mit weißen Männern. Das zählt nicht.« »Ist das so?« »Ja, genau so ist es.«
    Louise wollte die Frage herausschleudern, Lucinda direkt ins Gesicht. Hast du ihn angesteckt? Wußtest du nicht, daß du krank warst? Wie konntest du das tun? Aber sie sagte nichts.
    »Ich muß wissen, was geschehen ist«, sagte sie nach einer Weile.
    »Es ist nichts geschehen, während er hier war. War er allein, als er starb?«
    »Er war allein.«
    Genaugenommen weiß ich es nicht, dachte Louise. Es kann jemand bei ihm gewesen sein.
    Plötzlich schien es ihr, als hätte sie eine Erklärung für den Schlafanzug gefunden. Henrik war nicht im Bett gestorben. Erst nachdem er das Bewußtsein verloren hatte oder nicht länger Widerstand leisten konnte, war er ausgezogen und in den Schlafanzug gesteckt worden. Wer auch in der Wohnung gewesen sein mochte, hatte von seiner Gewohnheit, nackt zu schlafen, nichts gewußt.
    Plötzlich fing Lucinda an zu weinen. Ihr ganzer Körper bebte. Der Mann am Bartresen, der seinen Daumennagel studierte, sah Louise fragend an. Sie schüttelte den Kopf, sie brauchten keine Hilfe.
    Louise nahm ihre Hand. Sie war warm, schweiß feucht. Sie drückte sie fest.
    Lucinda beruhigte sich und trocknete ihr Gesicht mit einer Serviette.
    »Wie haben Sie mich gefunden?«
    »Henrik hat in Barcelona einen Brief hinterlassen und darin von Ihnen erzählt.«
    »Was hat er erzählt?«
    »Daß Sie es wissen würden, wenn ihm etwas zustieße.«
    »Was wissen?«
    »Ich habe keine

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