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Kennedys Hirn

Kennedys Hirn

Titel: Kennedys Hirn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Raum, in dem ein Kühlschrank mit Eiswasser stand, bat Louise darum, mit jemandem sprechen zu dürfen, der Henrik gekannt hatte. Laura verschwand, um nachzusehen, ob sie jemanden finden konnte.
    Lucinda war weiterhin stumm, sie weigerte sich, das Wasser, das auf dem Tisch stand, zu trinken. Plötzlich öffnete sie eine Tür zu einem Raum weiter innen. Sie wandte sich um und sah Louise an.
    Der Raum war voller toter Menschen. Sie lagen auf dem Boden, auf Bastmatten, schmutzigen Laken, eine unendliche Zahl toter Menschen. Louise fuhr zurück, Lucinda schloß die Tür.
    »Warum hat sie uns diesen Raum nicht gezeigt?« fragte Lucinda. »Warum sollte sie das tun?«
    Louise kämpfte gegen die aufsteigende Übelkeit. Sie hatte das Gefühl, daß Lucinda von diesem Raum wußte, daß sie diese Tür zuvor schon einmal geöffnet hatte.
    Laura kam in Begleitung eines etwa dreißigjährigen Mannes zurück. Er hatte einen Ausschlag im Gesicht, sein Händedruck war kraftlos. Er hieß Wim, kam aus England und erinnerte sich sehr gut an Henrik. Louise beschloß plötzlich, nicht zu sagen, daß er tot war. Sie hatte keine Kraft für noch mehr Tote. Henrik gehörte nicht hierher, es war ein allzu furchtbarer Gedanke, sich ihn in dem Raum mit den gelagerten Körpern vorzustellen.
    »Waren Sie gute Freunde?« fragte Louise. »Er blieb viel für sich allein. Viele tun das, um es auszuhalten.«
    »Gab es jemanden, der ihm besonders nahe stand?« »Wir sind alle Freunde.«
    Um Himmels willen. Antworte auf meine Fragen. Du stehst nicht vor dem Herrn, du stehst vor mir, Henriks Mutter.
    »Sie können nicht ununterbrochen gearbeitet haben.« »Fast.«
    »Woran erinnern Sie sich bei ihm?« »Er war nett.«
    »Nur das?«
    »Er hat nicht soviel gesprochen. Ich wußte kaum, daß er Schwede war.«
    Wim schien endlich zu spüren, daß irgend etwas passiert war. »Warum fragen Sie?«
    »Weil ich hoffe, Antworten zu bekommen. Aber ich sehe ein, daß es keine gibt. Vielen Dank, daß ich mit Ihnen sprechen konnte.«
    Louise empfand eine plötzliche Wut darüber, daß diese blasse und kraftlose Person lebte, während Henrik tot war. Es war eine Ungerechtigkeit, die sie nicht akzeptieren konnte. Gott krächzte rauh wie eine Krähe über ihrem Kopf.
    Sie verließ den Raum und trat direkt hinaus in die lähmende Hitze. Laura zeigte die privaten Unterkünfte derer, die sich dafür entschieden hatten, den Kranken zu helfen, die Schlafsäle, die ordentlich aufgehängten Moskitonetze, den Speisesaal, der stark nach Seife roch.
    »Warum bist du hergekommen?« wandte sich Lucinda plötzlich an Laura.
    »Um zu helfen, um von Nutzen zu sein. Ich habe meine eigene Passivität nicht ausgehalten.«
    »Hast du jemals Christian Holloway getroffen?«
    »Nein.«
    »Hast du ihn nicht einmal gesehen?«
    »Nur auf Bildern.«
    Laura zeigte auf die eine Schmalseite des Speisesaals. Dort hing eine gerahmte Fotografie. Louise trat näher, um sie zu betrachten. Sie zeigte einen Mann im Profil, grauhaarig, schmale Lippen, spitze Nase.
    Etwas weckte ihre Aufmerksamkeit, doch sie konnte nicht entscheiden, was es war. Sie hielt den Atem an und betrachtete das Bild. Eine Fliege summte vor dem Glas.
    »Wir müssen zurück«, sagte Lucinda. »Ich möchte nicht im Dunkeln fahren.«
    Sie bedankten sich bei Laura und kehrten zum Wagen zurück. Laura winkte und verschwand. Der Platz war wieder leer. Lucinda ließ den Motor an und wollte losfahren, als Louise sie bat zu warten. Sie lief durch die Hitze zurück zum Speisesaal.
    Sie sah noch einmal das Bild von Christian Holloway an. Sie erkannte, was sie vorher nicht entdeckt hatte. Christian Holloways Profil.
    Einer der Scherenschnitte in Henriks Tasche war nach dem Foto entstanden, das sie vor sich hatte.
Teil 3
    DER SCHERENSCHNEIDER
    »Es geht auch dich an, wenn es beim Nachbarn brennt.« Horaz
    A uf dem Rückweg in der kurzen afrikanischen Dämmerung wiederholte Louise im Kopf einige Worte wie ein Mantra.
    Henrik ist für immer fort. Doch vielleicht kann ich mich einigen seiner Gedanken nähern, dem, was ihn angetrieben hat. Um zu verstehen, warum er starb, muß ich verstehen, wofür er leben wollte.
    Sie hielten an dem Bushalteplatz und den Buden an. Feuer loderten. Lucinda kaufte Wasser und eine Packung Kekse. Erst jetzt merkte Louise, daß sie hungrig war. »Kannst du dir Henrik dort vorstellen?« fragte sie.
    Lucindas Gesicht wurde vom Schein eines der Feuer beleuchtet. »Ich mochte es nicht. Schon beim letzten Mal nicht. Etwas

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