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Kennen Wir Uns Nicht?

Kennen Wir Uns Nicht?

Titel: Kennen Wir Uns Nicht? Kostenlos Bücher Online Lesen
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hier soll.
    »Sehr schön! Also, ich habe hier ein paar hinreißende Stücke für Sie.« Ann schiebt mich in eine Kabine und präsentiert mir mit großer Geste einen ganzen Schwung Kleider. »Sie sehen hier ganz neue Formen und Schnitte, aber ich glaube, die können Sie ohne Weiteres tragen ...«
    Was redet sie da? Neue Formen und Schnitte? Es sind ausschließlich Kostüme in neutralen Farben. Davon habe ich schon einen ganzen Schrank voll.
    Ann zeigt mir eine Jacke nach der anderen, redet über Taschen und Längen, aber ich verstehe kein Wort. Irgendetwas summt in meinem Kopf, als hätte sich ein Insekt darin verirrt. Es wird lauter und lauter ...
    »Haben Sie noch was anderes?«, unterbreche ich sie unvermittelt. »Haben Sie irgendwas ... Lebhafteres?«
    »Lebhafteres?«, wiederholt Ann verunsichert. Sie zögert, dann greift sie nach einer beigefarbenen Jacke. »Die hier hat ungemein Flair ...«
    Ich trete aus der Kabine in den Verkaufsraum und schnappe nach Luft. Mir rauscht das Blut in den Ohren.
    »Das hier!« Ich schnappe mir einen dunkelroten Minirock mit hellen Punkten. »Der ist schick. Damit könnte ich abends auf die Piste gehen.«
    Ann sieht mich an, als müsste sie gleich in Ohnmacht fallen.
    »Lexi«, sagt sie schließlich. »Das ... ist nicht gerade das, was ich als Ihren Stil bezeichnen würde.«
    »Na, ich aber.« Trotzig greife ich mir einen silbernen Mini. »Und der hier.«
    Genau so was würde ich mir bei New Look aussuchen, für einen Bruchteil des Preises.
    »Lexi.« Ann kneift mit Daumen und Zeigefinger ihren Nasensattel und atmet zweimal tief durch. »Ich bin Ihre Stylistin. Ich weiß, was Ihnen steht. Sie pflegen einen tragbaren, attraktiven, geschäftsmäßigen Look, den wir mit Zeit und Mühe herausgearbeitet haben ...«
    »Er ist lahm. Einfach nur langweilig.« Ich nehme ihr ein beigefarbenes, ärmelloses Kleid vom Arm und halte es hoch. »Das bin ich nicht. Bin ich einfach nicht.«
    »Lexi ... das sind Sie!«
    »Bin ich nicht! Ich brauche Spaß. Ich brauche Farbe.«
    »Sie schwören seit Jahren auf Beige und Schwarz.« Anns Miene wirkt verspannt. »Lexi, Sie haben mir bei unserem ersten Treffen explizit erklärt, Sie brauchten eine schlichte, funktionierende Garderobe in neutralen Farben ...«
    »Das ist lange her, okay?« Ich versuche, meinen Zorn zu bändigen, aber es ist, als blubbere alles, was an diesem Tag passiert ist, mit einer Woge der Verzweiflung an die Oberfläche. »Möglicherweise hat sich manches verändert. Möglicherweise habe ich mich verändert.«
    »Das hier ...« Wieder kommt Ann mit einem beigefarbenen Kostüm an. »Das sind Sie.«
    »Bin ich nicht.«
    »Sind Sie wohl.«
    »Das bin ich nicht! Ich bin nicht diese Frau! Ich will nicht!« In meinen Augen brennen Tränen.
    Abrupt fange ich an, Haarklemmen aus meinem Dutt zu ziehen, kann es plötzlich kaum erwarten, ihn loszuwerden. »Ich bin nicht die Sorte Mensch, die beigefarbene Kostüme trägt! Ich bin nicht die Sorte Mensch, die ihr Haar jeden Tag zum Dutt verknotet! Ich bin nicht die Sorte Mensch, die tausend Pfund für Wein ausgibt. Ich bin nicht die Sorte Mensch, die ... die ihre Freunde verrät ...«
    Mittlerweile schluchze ich fast. Der Dutt will sich nicht lösen, und überall stehen Strähnen von meinem Kopf ab, wie bei einer Vogelscheuche. Tränen laufen mir über die Wangen. Mit dem Handrücken wische ich sie ab, und Ann will mir das beigefarbene Kleid aus der Hand reißen.
    »Keine Tränen aufs Armani!«, schnauzt sie mich an.
    »Hier!« Ich drücke es ihr in die Hand. »Viel Spaß damit.« Und ohne ein weiteres Wort marschiere ich hinaus.
    Ich gehe ins Cafe im Erdgeschoss, gönne mir eine heiße Schokolade und zupfe dabei die restlichen Klemmen aus meinem Dutt. Dann bestelle ich mir noch eine Schokolade, diesmal mit einem Doughnut. Nach einer Weile haben sich die Kohlenhydrate wie ein warmes, weiches Kissen in meinem Magen eingerichtet, und ich fühle mich schon besser. Es muss irgendwie gehen, es muss einfach! Ich werde das ganze Wochenende arbeiten, ich werde eine Lösung finden, ich werde die Abteilung retten ...
    Da piept es in meiner Tasche. Ich hole das Handy hervor. Es ist eine SMS von Eric.
    Wie geht es dir? Machst du Überstunden?
    Als ich diese Worte sehe, bin ich plötzlich richtig gerührt. Sehr sogar. Eric denkt an mich. Er sorgt sich um mich.
    Ich komme jetzt nach Hause, schreibe ich zurück. Du hast mir heute gefehlt!!
    Es stimmt eigentlich nicht, klingt aber hübsch.
    Du hast mir auch

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