Kennen Wir Uns Nicht?
Ordner fest an meine Brust. Fi steht in der Tür zum großen Büro und winkt mir. »Komm rein! Nimm dir einen Muffln!«
Einen Moment lang starre ich sie sprachlos an.
»Jetzt komm schon!« Sie lacht. »Simon Johnson ist doch weg, oder?«
»Ah ... ja«, sage ich heiser. »Ist er.«
»Na, dann komm! Wir warten alle schon!«
Ich kann nicht ablehnen. Ich muss mich normal geben. Ich muss freundlich tun, obwohl ich mich fühle wie ein Atommeiler bei der Kernschmelze.
Fi nimmt meinen Arm ... und als ich ihr ins Büro folge, kriege ich den Schreck meines Lebens. Zwischen zwei Fensterriegeln ist ein Transparent gespannt mit der Aufschrift »WILLKOMMEN LEXI!!!«. Auf dem Aktenschrank steht ein Teller mit frischen Muffins, daneben ein Präsentkorb von Aveda.
»Wir haben dich überhaupt noch nicht willkommen geheißen«, sagt Fi mit rosigen Wangen. »Und wir wollten nur sagen, wie froh wir sind, dass du nach deinem Autounfall wiederhergestellt bist.« Sie wendet sich an die anderen. »Diejenigen, die Lexi noch nicht kannten, als ... Ich wollte nur sagen: Ich glaube, dieser Unfall hat einiges verändert. Ich weiß, sie wird uns eine wunderbare Chefin sein, und wir sollten geschlossen hinter ihr stehen. Auf dich, Lexi!«
Sie hebt ihren Kaffeebecher, und alle applaudieren.
»Ich danke euch«, presse ich hervor. »Ihr seid ... wunderbar.«
Und demnächst werden sie alle ihren Job verlieren. Sie ahnen nichts. Und sie haben mir Muffins und einen Präsentkorb mitgebracht.
»Trink erst mal einen Kaffee.« Fi bringt mir einen Becher. »Komm, ich nehm dir deinen Ordner ab ...«
»Nein!«, keuche ich und drücke ihn fest an mich. »Das ist... ziemlich geheim ...«
»Da stehen unsere Prämien drin, was?«, sagt Debs grinsend und knufft mich. »Pass auf, dass sie schön groß ausfallen, Lexi! Ich brauch ‚ne neue Handtasche!«
Irgendwie bringe ich ein krankes Lächeln zustande. Das alles ist ein böser Traum.
Als ich schließlich um halb sechs Feierabend mache, ist der Alptraum noch nicht vorbei. Übers Wochenende muss ich mir irgendwie ein Plädoyer für den Erhalt der Abteilung Bodenbeläge einfallen lassen. Dabei weiß ich gar nicht genau, was das Problem ist, geschweige denn wie eine Lösung aussehen könnte. Als ich im Fahrstuhl auf den Knopf fürs Erdgeschoss drücke, zwängt sich Byron mit hinein, im Mantel.
»Arbeit für zu Hause?« Er zieht die Augenbrauen hoch, als er meine vollgestopfte Aktenmappe sieht.
»Ich muss die Abteilung retten«, sage ich knapp. »Ich werde das ganze Wochenende arbeiten, um eine Lösung zu finden.«
»Das soll doch wohl ein Witz sein, oder?« Ungläubig schüttelt Byron den Kopf. »Lexi, haben Sie denn den Vorschlag nicht richtig gelesen? Für Sie und für mich wird alles besser. Es wird ein neues Strategie-Team geben. Wir werden mehr Einfluss haben, größere Kompetenz ...«
»Darum geht es nicht!«, schreie ich vor Wut. »Was ist mit unseren Freunden, denen gar nichts bleibt?«
»Buhuhu ... mir blutet das Herz«, entgegnet Byron. »Die werden schon Arbeit finden.« Er zögert, mustert mich. »Das hat Sie doch früher auch nicht gestört.«
Es dauert ein paar Sekunden, bis seine Worte bei mir angekommen sind. »Was wollen Sie damit sagen?«
»Bevor Sie diesen Unfall hatten, waren Sie voll dafür, die Abteilung aufzulösen. Mehr Einfluss für uns beide, mehr Geld ... was könnte man dagegen haben?«
Es läuft mir kalt über den Rücken.
»Das glaube ich Ihnen nicht.« Meine Stimme klingt abgehackt. »Das glaube ich Ihnen nicht. Ich hätte meine Freunde nie verraten.«
Mitleidig sieht Byron mich an.
»Doch, hätten Sie. Sie sind keine Heilige, Lexi. Wozu auch?« Die Türen gehen auf, und er steigt aus dem Fahrstuhl.
Wie in Trance stehe ich im Kaufhaus Langridge auf der Rolltreppe. Um sechs Uhr habe ich einen Termin bei Ann, meiner persönlichen Stilberaterin. Nach dem Ehe-Handbuch zu urteilen, sehen wir uns vierteljährlich, sie sucht mir ein paar »Stücke« aus, und wir arbeiten am »Look« der Saison.
»Lexi! Wie geht es Ihnen?«, höre ich eine Stimme, als ich den Empfangsbereich betrete. Ann ist zierlich, mit kurzem, dunklem Haar, engen, schwarzen Fifties-Hosen und einem übermächtigen Parfüm, von dem mir fast übel wird. »Ich war untröstlich, als ich von Ihrem Unfall erfahren habe!«
»Es geht mit gut, danke. Ich bin wieder auf dem Damm.« Ich versuche ein Lächeln zustande zu bringen.
Ich hätte diesen Termin absagen müssen. Ich weiß überhaupt nicht, was ich
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