Kennen Wir Uns Nicht?
keuche ich etwas atemlos, während ich einen Hund abwehre. »Das ist Jon. Ein ... Freund.« Ich deute auf Jon, der gerade einem der Whippets tief in die Augen sieht und sagt: »Runter mit dir! Nimm deine Pfoten weg!«
»Ach!« Mum wirkt nervös. »Hätte ich das gewusst, hätte ich uns was zu essen gezaubert. Wie kann ich euch bewirten, wenn ihr so kurzfristig ...«
»Mum, wir wollen gar nichts weiter. Ich will nur diesen Ordner holen. Ist er noch da?«
»Selbstverständlich!« Sie klingt, als müsste sie sich verteidigen. »Er ist absolut in Ordnung.«
Ich laufe die knarrende Treppe mit dem grünen Teppich hinauf in mein Schlafzimmer mit der Laura-Ashley-Blumentapete an der Wand.
Amy hat recht. Hier stinkt es. Ich kann nicht sagen, ob es an den Hunden liegt, an der Feuchtigkeit oder am Schimmel ... aber da müsste unbedingt was passieren. Ich sehe den Ordner auf einer Kommode liegen und greife ihn mir - dann kehre ich um. Jetzt weiß ich, wieso Mum klang, als müsste sie sich verteidigen. Es ist echt eklig. Der Ordner stinkt nach Hundepisse.
Naserümpfend strecke ich zwei Finger aus und klappe ihn auf.
Ich sehe meine Schrift. Zeilen über Zeilen, klar und deutlich. Wie eine Botschaft von mir an ... mich. Ich überfliege die erste Seite, versuche, so schnell wie möglich in Erfahrung zu bringen, was ich vorhatte, was geplant war, worum sich alles drehte ... Ich kann sehen, dass ich eine Art Vorschlag aufgeschrieben hatte, aber was genau? Ich blättere um, wundere mich, blättere weiter. Und da sehe ich den Namen.
Oh. Mein. Gott.
Ich begreife sofort. Ich sehe das komplette Bild vor mir. Ich hebe den Kopf. Mein Herz rast vor Aufregung. Das ist eine echt gute Idee. Ich meine, das ist eine wirklich richtig echt gute Idee. Das Potential ist nicht zu übersehen. Es könnte was ganz Großes werden, es könnte alles auf den Kopf stellen ...
Freudestrahlend schnappe ich mir den stinkenden Ordner und renne die Treppe hinunter, immer zwei Stufen auf einmal nehmend.
»Hast du ihn?« Jon wartet unten an der Treppe.
»Ja!« Ein Lächeln streicht über mein Gesicht. »Es ist genial! Eine geniale Idee!«
»Es war deine Idee.«
»Wirklich?« Ich empfinde einen gewissen Stolz, den ich zu ersticken versuche. »Weißt du, genau das hätten wir die ganze Zeit schon brauchen können. Das hätten wir tun sollen. Wenn es funktioniert, können sie die Teppiche gar nicht aufgeben. Sie wären verrückt.«
Ein Hund springt an mir hoch und schnappt nach meinen Haaren, doch nicht mal das kann meine Laune trüben. Kaum zu glauben, dass ich diesen Deal zusammengestellt habe. Ich, Lexi! Ich kann es gar nicht erwarten, den anderen ...
»So!« Mum trägt ein Tablett mit Tassen vor sich her. »Wenigstens ein Tässchen Kaffee und einen kleinen Keks kann ich euch anbieten.«
»Wirklich, Mum. Ist schon okay«, sage ich. »Ich furchte, wir müssen gleich wieder ...«
»Ich hätte gern eine Tasse Kaffee«, sagt Jon freundlich.
Was? Ich durchbohre ihn mit meinen Blicken, als ich ihm ins Wohnzimmer folge und wir uns auf ein abgewetztes Sofa setzen. Jon nimmt Platz, als würde er sich hier total zu Hause fühlen. Vielleicht tut er das auch.
»Also, Lexi hat gerade davon gesprochen, dass sie ihr Leben wieder zusammenbasteln möchte«, sagt er und knabbert an einem Keks herum. »Und ich dachte, vielleicht würde es helfen, wenn sie wüsste, was auf der Beerdigung von ihrem Dad passiert ist.«
»Nun, natürlich ist es immer schrecklich, ein Elternteil zu verlieren ...« Mum konzentriert sich darauf, einen Keks in der Mitte durchzubrechen. »Hier hast du was, Ophelia.« Die eine Hälfte verfuttert sie an einen Whippet.
»Das meine ich nicht«, sagt Jon. »Ich meine das, was noch passiert ist.«
»Was noch passiert ist?« Mum ist nicht bei der Sache. »Raphael, das ist aber nicht nett! Kaffee, Lexi?«
Die Hunde fallen über den Keksteller her, sabbernd und schnappend. Sollen wir das jetzt etwa noch essen?
»Lexi scheint nicht so richtig im Bilde zu sein«, sagt Jon.
»Smoky, du bist nicht dran ...«
»Hören Sie endlich auf, mit den Hunden zu redenl« Jons Stimme lässt mich fast vom Sofa aufspringen.
Mum hat sich so erschrocken, dass es ihr die Sprache verschlägt. Und rühren kann sie sich auch nicht.
»Das ist Ihr Kind!« Jon deutet auf mich. »Nicht der da.« Er deutet mit dem Daumen auf einen Hund und schießt vom Sofa hoch. Mum und ich starren ihn nur reglos an, während er zum Kamin hinübergeht, sich durch die Haare fährt und
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