Kennen Wir Uns Nicht?
gar nicht darauf achtet, dass die Hunde ihn bedrängen. »Also, mir liegt etwas an Ihrer Tochter. Vielleicht ist sie sich dessen nicht bewusst, aber es stimmt.« Er sieht meiner Mum in die Augen. »Vielleicht müssen Sie es verdrängen, um damit leben zu können. Ihnen mag es helfen. Lexi hilft es nicht.«
»Wovon redest du?«, sage ich hilflos. »Mum, was ist auf der Beerdigung passiert?«
Mums Hände umflattern ihr Gesicht, als müsste sie sich schützen. »Es war eher ... unerfreulich.«
« Das Leben kann nun mal unerfreulich sein«, sagt Jon barsch. »Noch unerfreulicher wird es, wenn man davon nichts ahnt. Und wenn Sie es Lexi nicht sagen, werde ich es tun. Denn eins sollten Sie wissen ... sie hat mir davon erzählt.« Er zerkaut den Rest von seinem Keks.
»Also gut! Es war so ...« Mums Stimme verklingt zu einem Flüstern.
»Bitte?«
»Der Gerichtsvollzieher kam!« Das Blut schießt ihr in die Wangen. »Mitten in der Feier.«
»Der Gerichtsvollzieher? Aber ...«
»Sie kamen unangemeldet. Zu fünft.« Sie starrt vor sich hin, streichelt den Hund auf ihrem Schoß wie besessen mit der immer gleichen Bewegung. »Sie wollten das ganze Haus pfänden. Die Möbel, alles. Wie sich herausstellte, war dein Vater mir gegenüber nicht... vorbehaltlos ehrlich. Und auch allen anderen gegenüber.«
»Zeigen Sie ihr die zweite DVD«, sagt Jon. »Und erzählen Sie mir nicht, Sie wüssten nicht, wo Sie sie haben.«
Es dauert etwas, dann steht Mum auf, ohne uns anzusehen, wühlt in einer Schublade herum und findet eine DVD. Diese schiebt sie in das Gerät, und wir lehnen uns zurück.
»Meine Lieben.« Dad ist wieder auf dem Bildschirm, im selben Zimmer wie auf der anderen DVD, im selben plüschigen Hausmantel. Mit demselben charmanten Lächeln. »Wenn ihr das hier seht, habe ich den Löffel abgegeben. Und ihr solltet etwas wissen. Allerdings ist das nicht für die - sagen wir - Allgemeinheit geeignet.« Er nimmt einen tiefen Zug von seiner Zigarre und runzelt reumütig die Stirn. »Es gab da einen kleinen Engpass an der Pesetenfront. Wollte euch damit eigentlich nicht belasten. Aber ihr Mädels seid clever, ihr kommt damit bestimmt zurecht.« Er überlegt kurz. »Wenn ihr nicht mehr weiterwisst, fragt den alten Dickie Hawford, der hilft euch bestimmt. Prost, meine Lämmchen!« Er hebt sein Glas, dann ist der Bildschirm schwarz. Ich drehe mich zu Mum um.
»Was meinte er mit >Engpass«
»Er meinte, dass er eine Hypothek auf das Haus aufgenommen hatte.« Ihre Stimme zittert. »Das war seine eigentliche Nachricht. Diese DVD kam mit der Post, eine Woche nach der Beerdigung. Aber da war es zu spät! Der Gerichtsvollzieher war schon da gewesen! Was hätten wir tun sollen?« Sie streichelt den Whippet immer energischer, bis er plötzlich jaulend aufspringt.
»Und ... was haben wir gemacht?«
»Wir hätten verkaufen müssen. Wegziehen. Amy hätte die Schule wechseln müssen ...« Wieder umflattern ihre Hände das Gesicht. »Also ist mein Bruder freundlicherweise eingesprungen. Und meine Schwester auch. Und ... und du auch. Du hast gesagt, du würdest die Hypothek abbezahlen. So viel wie du kannst.«
»Ich?«
Ich sinke auf das Sofa zurück. Mein Kopf dreht sich, als ich versuche, das alles auf die Reihe zu bekommen. Ich habe mich bereit erklärt, Dads Schulden zu übernehmen.
»Ist das eine Offshore-Hypothek?«, frage ich plötzlich. »Heißt die Bank Uni... irgendwas?«
»Die meisten von Daddys Geschäften waren im Ausland.« Sie nickt. »Wegen der Steuer. Ich weiß nicht, wieso er nie ehrlich sein konnte ...«
»Sagt die Frau, die ihre Tochter im Dunkeln gelassen hat!«, knurrt Jon. »Wie können Sie das so einfach sagen?«
Seine Entrüstung färbt auf mich ab.
»Mum, du wusstest, dass ich mich an die Beerdigung nicht erinnern kann. Trotzdem hast du mir nichts davon erzählt. Begreifst du nicht, dass mir manches ... klarer gewesen wäre? Ich hatte überhaupt keine Ahnung, wohin das Geld geht.«
»Es war sehr schwierig!« Mums Augen wandern hin und her. »Ich habe versucht, es geheim zu halten, wegen Amy ...«
»Aber ...« Ich stutze, als mir etwas anderes in den Sinn kommt. »Mum ... ich hab noch eine Frage: War Dad jemals ... im Gefängnis?«
Mum zuckt zusammen, als hätte ich ihr auf den Zeh getreten.
»Nur kurz, Liebes. Vor langer Zeit... es war ein Missverständnis. Belassen wir es dabei. Ich mach uns noch einen Kaffee ...«
»Nein!« Frustriert springe ich auf und stelle mich vor sie hin, um ihre
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