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Kennen Wir Uns Nicht?

Kennen Wir Uns Nicht?

Titel: Kennen Wir Uns Nicht? Kostenlos Bücher Online Lesen
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nicht umbringen.«
    Keine Kohlenhydrate? Deshalb bin ich so in Form? Ich begutachte meine befremdlich wohlgebräunten Beine. Ich muss zugeben, sie sehen aus, als wüssten sie nicht mal, was eine Kartoffel ist.
    »Ich habe mich äußerlich ganz schön verändert, was?«, rutscht es mir heraus, etwas zu selbstverliebt. »Meine Haare ... meine Zähne ...«
    »Vermutlich hast du dich wirklich verändert.« Sie mustert mich vage. »Es kam so allmählich, dass es mir gar nicht richtig aufgefallen ist.«
    Ist das zu fassen? Wie kann einem nicht auffallen, dass sich die eigene Tochter von einem übergewichtigen Frettchen in eine gertenschlanke Sonnenanbeterin verwandelt?
    »Ich bin gleich wieder da.« Mum schnappt sich ihre bestickte Schultertasche. »Und Amy müsste jeden Moment eintrudeln.«
    »Amy ist hier?« Meine Laune hebt sich schlagartig, als ich mir meine kleine Schwester vorstelle, in ihrer pinken Fleece-Halbjacke, den blumenbestickten Jeans und diesen süßen Sneakern, die leuchten, wenn sie tanzt.
    »Sie wollte sich unten nur eben noch Schokolade kaufen.« Mum macht die Tür auf. »Sie ist ganz verrückt nach diesem neuen Peppermint-Kitkat.«
    Die Tür fällt ins Schloss, und ich starre sie an. Es gibt Kitkat mit Pfefferminzgeschmack?
    2007 ist wirklich eine andere Welt.
    Amy ist nicht etwa meine Halb- oder Stiefschwester, wie die meisten vermuten. Sondern sie ist voll und ganz zu hundert Prozent meine echte Schwester. Die Leute sind nur verunsichert, weil erstens zwölf Jahre zwischen uns liegen, und zweitens, weil Mum und Dad sich schon vor ihrer Geburt getrennt hatten.
    Vielleicht ist »getrennt« auch zu viel gesagt. Ich weiß nicht genau, was damals passiert ist. Ich weiß nur, dass mein Dad kaum da war, als ich aufwuchs. Offiziell hieß es, er habe im Ausland zu tun. Aber in Wirklichkeit war er ein Windhund. Ich war erst acht, als ich hörte, wie eine meiner Tanten ihn an Weihnachten so nannte. Als sie mich bemerkten, wechselten sie sofort das Thema, sodass ich vermutete, »Windhund« müsse wohl ein richtig schlimmes Schimpfwort sein. Das habe ich nie vergessen. Windhund.
    Als er zum ersten Mal wegging, war ich sieben. Mum sagte, er sei auf Geschäftsreise in Amerika, und als Melanie eines Tages in der Schule erzählte, sie habe ihn bei Coop im Supermarkt mit einer Frau in roten Jeans gesehen, habe ich ihr ins Gesicht gesagt, sie sei fett und verlogen. Ein paar Wochen später kam er wieder und sah erschöpft aus, vom Jetlag, wie er sagte. Als ich ihn fragte, ob er mir etwas mitgebracht habe, zückte er ein Päckchen Wrigley‘s. Ich zeigte mein »amerikanisches Kaugummi« überall in der Schule herum - bis Melanie mich auf das Preisschild von Coop aufmerksam machte. Ich habe Dad nie gesagt, dass ich die Wahrheit wusste, und Mum auch nicht. Irgendwie hatte ich die ganze Zeit schon geahnt, dass er gar nicht in Amerika war.
    Zwei Jahre später verschwand er wieder, diesmal für mehrere Monate. Als Nächstes eröffnete er ein Maklerbüro in Spanien, was aber schiefging. Dann hatte er mit so einem zwielichtigen Pyramidenspiel zu tun und versuchte, alle seine Freunde mit hineinzuziehen. Irgendwann wurde er schließlich zum Alkoholiker ... und lebte eine Weile bei einer Spanierin ... aber Mum hat ihn immer wieder aufgenommen. Dann, vor etwa drei Jahren, zog er endgültig nach Portugal, offenbar um der Steuerfahndung zu entkommen.
    Mum hatte im Laufe der Jahre verschiedene »Bekannte«, aber Dad und sie haben sich nie scheiden lassen, haben einander im Grunde nie wirklich losgelassen. Und so wie es aussieht, haben die beiden bei einem seiner feuchtfröhlichen Besuche zu Weihnachten dann wohl ...
    Naja. Ich möchte es mir eigentlich gar nicht näher vorstellen. Neun Monate später kam jedenfalls Amy. Das wollte ich damit sagen. Und sie ist eine wirklich liebenswerte, kleine Tanzmaus, die unablässig auf ihrer Disco Dance Mat herumhüpft und mir ständig kleine Zöpfe flechten möchte.
    Still und dämmrig ist es im Zimmer, seit Mum gegangen ist. Ich schenke mir ein Glas Wasser ein und trinke mit winzigen Schlucken. Meine Gedanken sind wie von Rauch umnebelt, wie nach einem Bombenanschlag. Ich komme mir vor wie ein Forensiker, der die Spuren betrachtet und versucht, sich daraus ein Bild zu machen.
    Leise klopft es an der Tür, und ich blicke auf. »Hallo? Herein!«
    »Hi, Lexi?«
    Ein mir unbekanntes, etwa sechzehnjähriges Mädchen schiebt sich herein. Sie ist groß und dünn, in Jeans, die ihr von den Hüften

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