Kennen Wir Uns Nicht?
erledigt. Ich gehe jeden Morgen um sieben ins Büro, nur um diesen Riesenaktenberg durchzuackern. Meine Augen sind schon ganz rot vom vielen Lesen.
Fast wäre ich gar nicht wieder hergekommen. An dem Tag, nachdem Eric und ich mehr oder weniger Sex hatten, bin ich totenbleich aufgewacht, mit den irrsinnigsten Kopfschmerzen, und verspürte absolut keinen Drang, je wieder arbeiten zu gehen. Ich bin in die Küche geschlurft, habe mir eine Tasse Tee mit drei Löffeln Zucker gemacht, einen Zettel genommen, mich hingesetzt und unter Schmerzen aufgeschrieben:
OPTIONEN
1. Aufgeben
2. Nicht aufgeben
Ich habe die Worte endlos angestarrt. Irgendwann habe ich Aufgeben durchgestrichen.
Das Problem mit dem Aufgeben ist nämlich, dass man es dann nie erfahren wird. Man wird nie erfahren, ob man die Aufgabe vielleicht doch bewältigt hätte. Und ich hab die Schnauze voll davon, über mein Leben nicht Bescheid zu wissen. Und da sitze ich nun also in meinem Büro und quäle mich durch eine Studie zu Kostentrends bei Teppichfasern aus dem Jahr 2005. Für den Fall, dass es wichtig werden könnte.
Nein. Komm schon. Das kann nicht wichtig sein. Ich schließe die Akte, stehe auf und schleiche mich auf Zehenspitzen zur Tür. Ich öffne sie einen Spalt und spähe hoffnungsfroh hinüber ins Hauptbüro. Der Korb ist durch die Scheibe gut sichtbar. Er ist nach wie vor unangetastet.
Ich bin am Boden zerstört. Was ist los? Wieso nimmt sich keiner einen? Vielleicht sollte ich noch mal unmissverständÜch klarmachen, dass diese Muffins für alle gedacht sind. Ich gehe hinüber.
»Hi!«, sage ich frohen Mutes. »Ich wollte nur sagen, dass diese Muffins für alle da sind. Ich habe sie heute Morgen frisch aus der Bäckerei geholt. Also ... nehmt nur! Bedient euch!«
Niemand antwortet. Alle machen einfach weiter, so als wäre ich gar nicht da. Bin ich plötzlich unsichtbar geworden?
»Na, wie auch immer.« Ich zwinge mich zu einem Lächeln. »Guten Appetit!« Ich mache auf dem Ansatz kehrt und gehe hinaus.
Ich habe getan, was ich konnte. Wenn sie Muffins wollen, dann können sie sich ja welche nehmen. Und wenn nicht, dann eben nicht. Thema durch. Ist mir jetzt echt egal. Ich setze mich an meinen Schreibtisch, schlage einen aktuelleren Finanzbericht auf und fahre mit dem Finger die relevanten Spalten hinunter. Nach einer Weile lehne ich mich zurück und reibe mir mit den Fäusten die Augen. Diese Zahlen bestätigen nur, was ich bereits weiß: Die Ergebnisse meiner Abteilung sind katastrophal.
Die Verkaufszahlen haben im letzten Jahr zwar ein bisschen zugelegt, sind aber noch immer viel, viel zu gering. Wir kriegen ernste Probleme, wenn wir das Ruder nicht herumreißen. Das habe ich Byron gegenüber neulich erwähnt, aber es schien ihm überhaupt nichts auszumachen. Wie kann er nur so blasiert sein? Ich mache mir eine Notiz auf einem Klebezettel - Verkäufe mit Byron besprechen. Dann lege ich den Stift weg.
Warum wollen sie meine Muffins nicht?
Ich war so zuversichtlich, als ich sie heute Morgen gekauft habe. Ich stellte mir vor, wie ihre Gesichter bei dem Anblick aufleuchten, und sie sagen: »Wie nett, dass du an uns gedacht hast, Lexi! Danke!« Aber inzwischen bin ich ziemlich niedergeschlagen. Die müssen mich echt hassen. Ich meine, man muss jemanden schon richtig abgrundtief verachten, wenn man nicht mal einen Muffin von ihm nimmt, oder? Und das sind wirklich gute Muffins. Sie sind groß und rund und frisch, und die mit Blaubeeren haben sogar Zitronenguss oben drauf.
Zaghaft meldet sich die Stimme der Vernunft in meinem Kopf und sagt: Denk nicht mehr daran. Vergiss es einfach. Meine Güte, es ist doch nur ein Korb mit Muffins!
Aber ich kann nicht. Ich kann hier nicht einfach so still sitzen bleiben. Abrupt springe ich auf und gehe hinüber ins Büro. Der Korb steht noch da, unberührt. Alle tippen vor sich hin oder telefonieren und ignorieren geflissentlich meine Muffins und mich.
»Also!« Ich gebe mir Mühe, entspannt zu klingen. »Möchte denn niemand einen Muffin? Die sind echt lecker!«
»Muffin?«, sagt Fi endlich mit fragendem Blick. »Ich sehe keine Muffins.« Sie sieht sich im Büro um, tut ganz überrascht. »Hat hier jemand irgendwelche Muffins gesehen?«
Alle zucken mit den Schultern, als wären sie ebenso überrascht.
»Meinst du einen Englischen Muffin?« Carolyn runzelt die Stirn. »Oder einen Französischen Muffin?«
»Drüben bei Starbucks gibt es Muffins. Ich könnte rüberlaufen, wenn du willst«, sagt Debs
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