Kennwort: Schwarzer Ritter
vorwerfen, unvernünftig zu sein. Hitzköpfig vielleicht. Leidenschaftlich ganz bestimmt. Möglicherweise sogar impulsiv, aber nicht unvernünftig. Die Tatsache, dass du hier sitzt und über das Problem redest, beweist ja, dass du bereits beide Seiten der Angelegenheit abwägst.“
„Es gibt nur eine Seite – die des Gesetzes.“
Tim nahm einen Kuchenkrümel zwischen zwei Finger und aß ihn auf. „Glaubst du nicht, dass Kate die berufliche Verpflichtung hat, den Fall zu übernehmen? Schließlich ist sie Strafverteidigerin.“
„Kate kann es nicht lassen, Anwältin für die Benachteiligten zu spielen. Der einzige Grund, warum sie überlegt, den Fall zu übernehmen, ist der, dass sie Mitleid mit der Verlobten von Todd hat.“
„Also ist sie mitfühlend.“
„Und dickköpfig.“
„Aber nicht dumm. Du hast selbst ihre Ermittlerfähigkeiten gerühmt, die Hingabe an ihren Beruf, ihre unbestreitbare Integrität.“ Er schaute seinen Freund aufmerksam an. „Ganz zu schweigen von ihrer ausgezeichneten Menschenkenntnis. Jedenfalls bin ich dieser Ansicht.“
„Wenn sie ihre Gefühle aus dem Spiel lässt.“
„Und was ist mit dir, alter Freund? Lässt du denn
deine
Gefühle aus dem Spiel?“
„Molly war meine kleine Schwester. Da habe ich doch wohl ein Recht auf meine Gefühle gegenüber dem Mörder.“
Tim nickte. „Ja, ich glaube schon. Aber Wut und Frustration sollten dich nicht daran hindern, objektiv zu sein. Ich glaube, das ist alles, was Kate von dir erwartet, Mitch. Sie hat ja nicht von dir verlangt, dass du Todd nicht länger als Verdächtigen sehen sollst. Sie hat dich gebeten, über die Möglichkeit nachzudenken, dass es jemand anders gewesen sein könnte.“
Schweigend trank Mitch seinen Tee. Er war zu starrsinnig, um zuzugeben, dass Tims Argumente stichhaltig waren. Doch als er eine halbe Stunde später nach Hause fuhr, klangen die Worte seines Freundes immer noch in seinem Kopf nach, und es war ihm nicht möglich, sie zu ignorieren. Falls die Frau, die er liebte, die Frau, deren Ansichten er respektierte, glaubte, dass Todd Buchanan unschuldig sein könnte, sollte er diese Möglichkeit dann nicht ebenfalls in Betracht ziehen? Und sei es auch nur, um zu beweisen, dass sie sich irrte.
Zu Hause angekommen, ging er sofort ins Schlafzimmer, wo der Polizeibericht über den Mord an Molly in einer Schreibtischschublade lag. Dann lehnte er sich, immer noch angezogen, gegen die Kissen, die nach Kates Parfüm rochen, und begann zu lesen.
In den beiden Stunden, die vergangen waren, seit Mitch aus ihrem Haus gestürmt war, hatte Kate ihn zweimal angerufen, einmal zu Hause und einmal auf dem Handy. Beide Anrufe blieben ebenso unbeantwortet wie die Mitteilungen, die sie hinterlassen hatte.
Jetzt stand sie mit einem Becher heißen Kakao in der Küche und starrte die Wanduhr an. In Kürze würde Jessica van Dykes Flugzeug starten. Sie konnte sich vorstellen, wie die junge Frau in der Wartehalle saß, nervös auf ihre Uhr schaute und ihr Handy kontrollierte, um sicher zu sein, dass es eingeschaltet war. Wie oft schon war Kate in einer ähnlichen Situation gewesen, hatte in ihrem Büro auf heißen Kohlen gesessen und auf ein Urteil gewartet. Oder jener schreckliche Tag vor ein paar Monaten, als sie auf eine Nachricht von ihrer entführten Tochter gehofft hatte. Wer hätte besser gewusst als sie, wie quälend das Warten sein konnte?
Sie griff zum Telefonhörer des Zweitgeräts, das neben dem Kühlschrank stand, und wählte die Nummer, die Jessica ihr gegeben hatte. Sie war nicht überrascht, dass der Anruf schon nach dem ersten Signalton angenommen wurde.
„Hallo?“
„Jessica, hier ist Kate. Es tut mir Leid, dass ich Sie so lange haben warten lassen. Es gab … ein paar Schwierigkeiten.“
„Mitch?“
„Ja.“
Nach kurzem Schweigen fragte Jessica: „Bedeutet das, Sie haben sich entschlossen, uns nicht zu helfen?“
„Ganz und gar nicht. Ich übernehme den Fall, Jessica.“
Kate hörte den Seufzer der Erleichterung am anderen Ende der Leitung. „Danke“, flüsterte Jessica. „Vielen Dank.“
Kate schaute auf ihre Uhr. „Ich weiß, dass Sie bald in den Flieger müssen, deshalb mache ich es jetzt kurz. Würden Sie Todd bitten, mich anzurufen? Ich muss ganz normal mit ihm reden können, damit er weiß, wie ich vorankomme.“
„Ich werde es ihm sagen.“
„Er ruft mich am besten auf meinem Handy an.“ Sie gab ihr die Nummer und wartete, bis Jessica sie notiert hatte. „Sagen Sie ihm, er
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