Keraban Der Starrkopf
Alle Platz ist!… Es ist schon bald elf Uhr… schon steigt der Mond am Himmel auf. Nun laßt uns schlafen gehen!
– Komm, Nedjeb, sagte Amasia zu der jungen Zigeunerin.
– Gute Nacht, Ahmet!
– Auf morgen, theure Amasia, auf Wiedersehen morgen! antwortete Ahmet, der das junge Mädchen bis zum Eingang der Höhle begleitete.
– Sie folgen mir, Seigneur Van Mitten? sagte Sarabul in einem Tone, der nicht viel Einladendes hatte.
– Gewiß, versicherte der Holländer. Doch, wenn es nothwendig wäre, könnte ich mich wohl dem jungen Ahmet anschließen.
– Was sagen Sie? rief die herrschsüchtige Kurdin.
– Was sagt er?… wiederholte der Seigneur Yanar.
– Ich sage… erklärte Van Mitten… ich sage nur, liebe Sarabul, daß die Pflicht mich zwingt, für Sie zu wachen, und daß…
– Ganz recht… Sie mögen wachen… aber hier!«
Damit wies sie mit der Hand nach der Höhle, während Yanar ihn an der Schulter faßte und sagte:
»Eines giebt es, worüber Sie unmöglich in Zweifel sein können, Seigneur Van Mitten.
– Etwas, worüber ich nicht in Zweifel sein könnte, Seigneur Yanar?… Und das wäre, wenn’s Ihnen beliebt?…
– Daß sie mit meiner Schwester sich… einen Vulkan erheiraten!«
Unter dem ihm von kräftigem Arme nachhelfenden Antriebe betrat Van Mitten den Eingang der Höhle, in welche ihm seine Verlobte vorangeschritten war und wohin ihm der Seigneur Yanar auf dem Fuße folgte.
Als sich Keraban auch ebendahin begeben wollte, hielt ihn Ahmet durch einen Zuruf zurück.
»Lieber Onkel, ein Wort!
– Aber nur eines, Ahmet, erwiderte Keraban, ich bin gehörig ermüdet und bedarf nun des Schlafes.
– Gewiß, aber ich bitte Dich doch, mir Gehör zu schenken.
– Was hast Du mir zu sagen?
– Weißt Du, wo wir uns hier befinden?
– Nun ja, in dem Engpasse oder der Schlucht von Nerissa.
– In welcher Entfernung von Scutari?
– Ich meine, kaum fünf bis sechs Lieues.
– Wer hat Dir das gesagt?
– Wer?… Natürlich unser Führer.
– Und hast Du Vertrauen zu diesem Menschen?
– Warum sollt’ ich ihm mißtrauen?
– Weil dieser Mann, den ich schon seit mehreren Tagen schärfer beobachte, ein mehr und mehr Verdacht erweckendes Benehmen zeigt, antwortete Ahmet. Kennst Du ihn, lieber Onkel? – Nein! In Trapezunt erbot er sich, uns bis an den Bosporus zu führen. Du hast ihn in Dienst genommen, ohne zu wissen, wer er war. Wir sind unter seiner Führung weiter gereist…
– Und mir scheint, Ahmet, er hat seine Bekanntschaft mit den Wegen in Anatolien hinreichend dargethan.
– Unzweifelhaft, lieber Onkel!
– Nun, was willst Du dann von mir, Herr Neffe? fragte der Seigneur Keraban, dessen Stirn sich schon mit einer höchst beunruhigenden Beständigkeit zu runzeln anfing.
– O, ich wollte Dich nicht reizen, lieber Onkel, und bitte Dich vor Allem zu glauben, daß es mir fern lag, Dir lästig zu erscheinen… Doch, ich kann’s nicht ändern, mich quält eine innere Unruhe, und ich fürchte für Die, welche ich liebe!«
Während er so sprach, war Ahmets Erregung sichtbar genug, als daß sein Onkel ihn nicht mit theilnehmendem Interesse angehört hätte.
»Aber ich bitte Dich, Ahmet, mein Kind, was hast Du? nahm er wieder das Wort. Wozu diese Furcht, jetzt wo unsere Prüfungen bald zu Ende sind? Ich will Dir einmal zugestehen – aber nur Dir allein – daß ich eben nur meinen Trotzkopf aufsetzte, als diese unsinnige Reise unternommen wurde, ich gebe auch willig zu, daß es ohne meinen Starrsinn, Dich von Odessa wegzunehmen, wohl kaum zur Entführung Amasias gekommen wäre… ja, Alles das ist mein Fehler!… Indeß jetzt naht sich ja das Ziel unserer Reise. Deine Vermählung wird nicht um einen Tag hinausgeschoben werden. Morgen sind wir in Scutari… und morgen…
– Und wenn wir morgen nicht in Scutari wären, lieber Onkel? Wenn wir uns davon noch viel weiter befänden, als der Führer angiebt? Wenn er uns mit dem Anrathen, von den Straßen längs der Küste abzuweichen, absichtlich irregeführt hätte? Mit einem Worte, wenn dieser Mensch nun ein Verräther wäre?
– Ein Verräther?… rief Keraban erstaunt.
– Ja, fuhr Ahmet fort, und wenn dieser Verräther den Interessen Derjenigen diente, die Amasia haben rauben lassen?
– Bei Allah, lieber Neffe, wie kommst Du zu solchem Gedanken und worauf begründet sich derselbe? Auf einfache Muthmaßungen?
– Nein, auf Thatsachen, lieber Onkel. Höre mich an. Seit einigen Tagen hat der Mann unter dem Vorwande, sich
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