Keraban Der Starrkopf
reinstem Wasser, der seit vierzig Jahren mit allen Kräften dem Eindringen europäischer Erfindungen Widerstand leistete, er hätte sich in den Waggon einer Eisenbahn setzen und damit den Fortschritten der neuzeitlichen Industrie huldigen sollen? Niemals! Er hätte die ganze Reise lieber zu Fuß zurückgelegt, als nach dieser Seite um Haaresbreite nachgegeben.
Am nämlichen Abend, als Van Mitten und er noch im Comptoir zu Galata standen, kamen sie auch auf dieses Thema zu sprechen.
Auf die ersten Worte, welche der Holländer bezüglich der türkischen und russischen Bahnen fallen ließ, antwortete Seigneur Keraban erst durch ein nicht mißzudeutendes Achselzucken, nachher aber mit kategorischer Ablehnung.
»Indessen… wendete Van Mitten noch einmal schüchtern ein, da er der Form wegen glaubte, bei seiner Meinung beharren zu müssen, freilich ohne die geringste Aussicht, seinen Gastfreund zu überzeugen.
– Wenn ich einmal Nein! gesagt habe, bleibt’s bei Nein! entgegnete Seigneur Keraban. Uebrigens gehören Sie mir, sind mein Gast, ich werde die Sorge für Sie übernehmen und Sie haben eben einfach Alles ruhig geschehen zu lassen.
– Nun meinetwegen, lenkte Van Mitten ein. Indeß giebt es, von Eisenbahnen abgesehen, vielleicht noch ein anderes, ganz einfaches Mittel, nach Scutari zu gelangen, auch ohne den Bosporus zu überschreiten oder gar eine Rundfahrt um des ganze Schwarze Meer zu machen.
– Und welches? fragte Keraban die Stirn runzelnd. Wenn dieses Mittel gut ist, nehm’ ich es an, andernfalls weise ich es zurück.
– Es ist ausgezeichnet, versicherte Van Mitten.
– Sprechen Sie schnell! Wir haben die Vorbereitungen zur Abreise zu treffen und keine Stunde zu verlieren.
– So hören Sie, Freund Keraban: Wir begeben uns nach einem der Constantinopel nächstgelegenen Häfen des Schwarzen Meeres, miethen ein Dampfboot…
– Ein Dampfboot! rief Seigneur Keraban, den das Wort »Dampf« allein außer sich zu bringen vermochte.
– Nein… Ein Schiff… Ein einfaches Segelschiff, beeilte sich Van Mitten hinzuzufügen, einen Chebec, eine Tartane, eine Caravelle, und wir fahren damit nach einem Hafen Anatoliens, zum Beispiel Kirpih. Einmal auf diesem Küstenpunkte, gelangen wir dann in einem Tage gemächlich zu Lande nach Scutari, wo wir höhnisch die Gesundheit des Muzirs trinken.«
Der Seigneur Keraban hatte seinen Freund ausreden lassen, ohne ihn zu unterbrechen. Vielleicht schmeichelte dieser sich schon, seinen übrigens ganz annehmbaren Vorschlag eine günstige Aufnahme finden zu sehen, da derselbe allen Fragen der Eigenliebe Rechnung trug.
Jedoch, als er geendet, leuchtete das Auge des Seigneur Keraban heller auf, seine Finger öffneten und schlossen sich nach einander und er machte ein paar Fäuste, deren Anblick Nizib wenig vertrauenerweckend fand.
»Also, was Sie mir rathen, Van Mitten, sagte er, geht im Grunde darauf hinaus, mich auf das Schwarze Meer einzuschiffen, um nicht über den Bosporus zu gehen?
– Das wäre ein guter Streich, meiner Meinung nach, antwortete Van Mitten.
– Haben Sie einmal, fuhr Keraban fort, von einer gewissen Krankheit gehört, welche man die Seekrankheit nennt?
– Gewiß, Freund Keraban.
– Und Sie haben sie natürlich nie gehabt?
– Niemals. Uebrigens bei einer so kurzen Ueberfahrt…
– So kurz! fuhr Keraban auf. Ich glaube, Sie sagen, eine so »kurze« Ueberfahrt?
– Kaum sechzig Lieues.
– Und wären es nur fünfzig, nur zwanzig, nur zehn, nur fünf! rief Seigneur Keraban, den der Widerspruch wie immer mächtig reizte, wären es nur zwei, ja, nur eine, so wäre das zu viel für mich!
– Aber überlegen Sie doch…
– Sie kennen doch den Bosporus?
– Ja!
– Bei Scutari ist er doch kaum eine halbe Lieue breit…
– Gewiß.
– Nun, Van Mitten, es braucht nur ein mäßiger Wind zu wehen, so bekomme ich die Seekrankheit beim Uebersetzen in meinem Kajik.
– Die Seekrankheit?
– Ich bekomme Sie auf jedem Teiche, in jeder Badewanne! Und nun wagen Sie noch einmal, mir jenen Weg zu empfehlen! Wagen Sie den Vorschlag, einen Chebec, eine Tartane, eine Caravelle oder irgend ein anderes, dem Schaukeln ausgesetztes Transportmittel zu miethen! Wagen Sie es nur!«
Es versteht sich von selbst, daß der wackere Holländer so etwas nicht wagte, und daß die Frage einer Ueberfahrt zu Wasser für immer verlassen wurde.
Wie sollte nun die Reise vor sich gehen? Die Verkehrsverhältnisse sind – mindestens in der eigentlichen Türkei –
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