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Keraban Der Starrkopf

Keraban Der Starrkopf

Titel: Keraban Der Starrkopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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aber da gab es nur eine Briefwage…
    Und die reichte nicht hin? meinte Van Mitten lächelnd.
    – Nein, Mynheer, versicherte Bruno ernsthaft, doch binnen Kurzem dürfte sie zureichen, Ihren Diener zu wägen. Noch einmal, lassen wir den Seigneur Keraban seines Weges ziehen.«
    Gewiß konnte diese Art zu reisen Van Mitten, einen Mann von phlegmatischem Temperamente, der nichts übereilte, keineswegs gefallen. Der Gedanke aber, seinem Freunde Keraban dadurch, daß er ihn verließ, zu nahe zu treten, war ihm so unangenehm, daß er einen solchen Entschluß unmöglich fassen konnte.
    »Nein, Bruno, nein, ich bin sein Gast…
    – Sein Gast, rief Bruno fast höhnisch, ein Gast, der gezwungen wird, siebenhundert Lieues statt einer zurückzulegen.
    – Das ändert an der Hauptsache nichts!
    – Erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, daß Sie Unrecht haben, Mynheer, erwiderte Bruno. Ich wiederhole Ihnen zum zehnten Male: wir sind nicht am Ende unserer Leiden, und ich habe ein gewisses Vorgefühl, daß Sie, vielleicht noch mehr als wir Anderen, Ihr gutes Theil empfangen werden.«
    Sollten sich Brunos Ahnungen bewahrheiten? Das konnte nur die Zukunft lehren. Jedenfalls hatte er mit dieser an seinen Herrn gerichteten Warnung seiner Pflicht als treuer Diener Genüge gethan, und wenn Van Mitten dennoch diese ebenso thörichte, wie anstrengende Reise fortsetzen wollte, so hatte er ihm einfach zu folgen.
    Die Uferstraße verlief fast stets parallel dem Umrisse des Schwarzen Meeres. Wenn sie sich davon entfernte, um ein Terrainhinderniß zu umgehen oder ein landeinwärts liegendes Dorf zu streifen, so war das stets nur um einige Werst. Die letzten Zweige der Kette des Kaukasus, welche hier ebenfalls die Küstenlinie begleiten, verschwinden allmählich an dem wenig besuchten Gestade. Am östlichen Horizont aber erhob sich, gleich einem Kamm mit verschiedenen Zinken, die gen Himmel emporstarren, der gewaltige, mit ewigem Schnee bedeckte Bergrücken.
    Um ein Uhr Mittags fuhr man um die kleine Bucht von Jemas, sieben Lieues von Rajewskaja, und erreichte, acht Lieues weiter, das Dorf Gelendschik.
    Diese Orte liegen, wie man sieht, alle nicht weit auseinander. In den Küstendistricten des Schwarzen Meeres zählt man fast regelmäßig einen in jener mittleren Entfernung; außer den kleinen Anhäufungen von Häusern aber, welche oft nicht bedeutender sind, als ein Dorf oder ein Weiler, ist das Land fast ganz öde und der Verkehr wird nur durch Küstenfahrer unterhalten.
    Der Landstreifen zwischen der Bergkette und dem Meere bietet einen bezaubernden Anblick. Der Boden desselben ist stark bewaldet. Hier trifft man dichte Gruppen von Eichen, Birken, Nußbäumen, Kastanien und Platanen, welche die zahlreichen Ranken des wilden Weinstockes, gleich Lianen des tropischen Urwaldes, umschlingen. Zwitschernd flattern überall Nachtigallen und Grasmücken aus den Azaleenfeldern empor, welche die Natur selbst in diesen fruchtbaren Gefilden hat aufwuchern lassen.
     

    Ahmet rettet Keraban. (S 178.)
     
    Gegen Mittag begegneten die Reisenden einem ganzen Clan nomadischer Kalmüken der Sippe, welche in »Alusses«, jede von mehreren »Khotonnes«, zerfällt. Diese »Khotonnes« sind wirklich wandelnde Dörfer und bestehen aus einer Anzahl »Kibitkas« oder Zelten, welche da oder dort errichtet werden, bald in der Steppe, bald in den grünenden Thälern, bald, je nach dem Belieben der Häuptlinge, auch an einem Wasserlaufe. Bekanntlich sind die Kalmüken mongolischen Ursprungs. Früher waren sie in der Gegend des Kaukasus sehr zahlreich. Die Anforderungen, um nicht zu sagen, die Quälereien der russischen Regierung haben jedoch eine starke Auswanderung nach Asien hervorgerufen.
    Die Kalmüken haben ihre eigenthümlichen Sitten und ihre nationale Tracht beibehalten. Van Mitten konnte in sein Notizbuch eintragen, daß die Männer mit sehr weiten Hosen, Maroquinstiefeln mit einer »Khalate«, einer Art weitem Burnus, und einer viereckigen Mütze mit Schafpelzrand bekleidet einhergingen. Die Frauen trugen sich fast ebenso. Nur benützen sie keinen Gürtel und haben eine Mütze, unter der die mit farbigen Bändern umschlungenen Haare hervorsehen. Die Kinder laufen fast ganz nackt umher, hocken im Winter, um sich zu erwärmen, in der Kibitka dicht beisammen und schlafen unter warmer Asche.
    Klein von Gestalt, aber kräftig, vortreffliche Reiter, lebhaft, gewandt und muthig, zufrieden mit ein wenig Mehl, welches mit ein paar Stücken Pferdefleisch abgekocht wird,

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