Kerstin Gier 2
Schabracke das Doppelkinn bis aufs Brustbein fallen angesichts meiner Spannweite. Diesen Urlaub würde ich durchsetzen, um jeden Preis! Vielleicht würde das Müttergenesungswerk ja sogar die Reisekosten übernehmen, wenn ich ihm meine Geschichte zuschickte.
Keine halbe Stunde später saß ich vor dem Computer und klickte mich durch Last-Minute-Angebote.
»Was machst du denn da?«
Mein Mann stand plötzlich hinter mir und schaute mir über die Schulter.
»Ich mache Urlaub. Mindestens eine Woche. Im ›Riu Palace‹ auf Gran Canaria. Und zwar allein!«
»Allein? Wir könnten doch beide eine Auszeit gebrauchen. Und Mutter könnte inzwischen –«
»Denk nicht einmal daran!«, unterbrach ich ihn mit aller Vehemenz, die ich aufbringen konnte. »Du bleibst hier und passt auf, dass deine Mutter die Kinder nicht zum Morgenappell antreten lässt und ihnen auf dem Hof das Exerzieren beibringt.«
Vincent verstand das so, wie es gemeint war: als Befehl. Er salutierte, knallte die Hacken zusammen und ging ab, während ich den Mauszeiger auf dem Button für die Buchungsbestätigung platzierte. Als ich ihn anklickte, öffnete sich ein Pop-up-Fenster mit der Werbung einer Fluggesellschaft:
»Germanwings – Deine Flügel!«
»Werte Fluggäste, wir befinden uns im Landeanflug auf den Flughafen Las Palmas de Gran Canaria. Bitte nehmen Sie Ihre Plätze ein und schnallen Sie sich an.«
Von der freundliche Stimme der Stewardess aus meinen Urlaubsträumen gerissen, hob ich den Blick von meinem hochglanzbebilderten Reiseführer, wo ich gedanklich gerade in den Dünen von Maspalomas versunken war, nahm die Kopfhörer meines iPods heraus und überprüfte den Sicherheitsgurt.
»Gelischatz, halt den Kleinen fest«, erschallte eine quäkende Stimme aus der Sitzreihe hinter mir. »Und gib ihm die Flasche, damit ihm bei der Landung die Ohren nicht wehtun! Udo, mit der Flasche warst nicht du gemeint. Gib sie her!«
Ich kam nicht umhin, mich umzudrehen.
Gelischatz erwies sich als eine junge Frau mit Spitzmausgesicht und raspelkurzem, milchkaffeebraunem Haar, die sich bemühte, dem putzigen, etwa einjährigem Wonneproppen auf ihrem Schoß eine Nuckelflasche in den Mund zu drücken. Der als ›Udo‹ Angesprochene war ein schlaksiger, junger Mann im Hawaii-Hemd, mit weißer Schirmmütze und einem Fotoapparat um den Hals – der Archetypus des deutschen Touristen. Zu seiner Rechten klemmte eine korpulente, grellbunt gekleidete Frau fortgeschrittenen Alters in ihrem Sitz, schmuckbehangen wie ein Christbaum. Am Mittelfinger ihrer sorgfältig manikürten Hand prangte ein schwerer Ring mit einem riesigen, blauen Stein, der im Licht der kanarischen Sonne mit dem wolkenlosen Himmel um die Wette funkelte. Dieselbe Hand umklammerte einen Flachmann, den sie todsicher soeben dem unglücklichen Udo entrissen hatte, der aussah, als hätte er ihn dringend nötig gehabt.
»Gelischatz, nun gib dem Kleinen schon die Milch!« Energisch nahm die Matrone den Schoppen an sich und versuchte nun ihrerseits, den Junior dazu zu bringen, den Schnabel aufzusperren. »Komm schon, Jonas, tu Omi den Gefallen!«
Aha, eine Schwiegermutter. Sie waren einfach überall! Das erklärte auch Udos resignierten Blick. Als der Flieger auf dem Rollfeld in Las Palmas aufsetzte und die Passagiere wegen der gelungenen Landung applaudierten, überlegte ich, ob es einen einzigen Ort auf Erden gab, an dem man vor ihnen sicher war. Allenfalls vielleicht in den Tiefen des Ozeans, denn dort konnte man nicht sprechen.
Hätte ich doch nur einen Tauchurlaub gebucht!
Als ich mit meinem Kofferrolli das Flughafengebäude verließ und Ausschau nach dem Transferbus hielt, fiel mir als Erstes diese grellbunte Tunika ins Auge. Ich hatte es geahnt: Wir hatten dasselbe Hotel gebucht. Aber damit nicht genug: Die nervige Kleinfamilie nahm natürlich im Bus wieder genau hinter mir Platz, um mir die halbstündige Fahrt bis zur Südküste zu versüßen.
Ich presste meine heiße Stirn ans Busfenster, bewunderte die windzerzausten Palmen und die schaumgekrönten Wellen auf dem Meer, während ich versuchte, das frustrierte Quäken des Juniors und vor allem das verbale Gewehrfeuer der Schwiegermutter in meinem Rücken zu ignorieren.
»Gelischatz, du musst ihn stillen!« Diesmal brauchte ich mich nicht umdrehen; ich wusste, wer sprach.
»Mama, doch nicht hier im Bus! Er kann die Flasche haben.«
»Stillen ist das Beste, was man für ein Kind tun kann. Ich habe dich fast zwei Jahre lang gestillt.
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