Kerstin Gier 2
Schwesterchen«, informiere ich Joris, der daraufhin das Bilderbuch vom Bett schmeißt und wieder auf das Trampolin will.
Was ohne Aufsicht keine so gute Idee ist, finde ich.
»Magst du mitkommen?«, frage ich in einer Tonlage, wie ich sie noch nie von mir gehört habe und finde mich fast mütterlich.
Joris sieht das anders, er will meine Aufmerksamkeit nicht teilen. Das ist ein weiterer Grund, weshalb ich feste Beziehungen mit Männern kategorisch ablehne: Ich habe eben vielfältigere Interessen als die, einen einzigen Mann zu bespaßen, während der sich wiederum ungern auf eine Frau allein festlegt.
Also vertraue ich darauf, dass Joris in seinem Zimmer keinen größeren Mist macht, und beuge mich über Josis Kinderbettchen. »Na meine Süße, ausgeschlafen?«, tschilpe ich, während ich mich über sie beuge und mit aller Kraft versuche, mich dagegen zu wehren, was der süßliche, vanillige Duft ihres Haarflaums mit meinen Gehirnzellen anstellt.
Josi lächelt ein zahnloses, bezauberndes Lächeln und bildet dabei mit ihrer Spucke eine Blase, die mich an die Seifenblasen-Spiele meiner Kindheit erinnert. Ich tupfe ihr den Speichel ab und werfe mir das Spucktuch so fachmännisch über die Schulter, wie ich es für gewöhnlich nur mit Kaschmir-Schals tue.
Josi gluckst still vor sich hin und sieht alles in allem ganz fröhlich aus. Sie trägt einen entzückenden Strampler mit Motiven des kleinen Hasen aus dem Bilderbuch »Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich hab?« Hach, hach, hach!
Ich kann der Versuchung nicht widerstehen und streiche kurz über Josis Wange. Ein Gefühl wie Samt und Seide, wie Schoko-eis und Tiramisu zusammen – die Kleine ist zum Anbeißen süß. »Kommst du endlich?«, fragt Joris, der meinem Treiben offenbar schon eine Weile zugeschaut und die Nase voll davon hat, dass ich mit seiner Schwester schäkere.
»Bin gleich da«, verspreche ich und sehe zufrieden, dass Josi wieder eingeschlafen ist.
Wenn Kinder nur immer so wären, würde ich es mir vielleicht …
Das Handy klingelt.
Ich sprinte zu meiner Tasche und gehe, ohne nachzusehen, dran. Es ist bestimmt Jo, die aus der Klinik anruft.
»Hat Benny dich in die Flucht geschlagen, oder musstest du wirklich mit deiner Agentin sprechen?«, ertönt die warme Stimme von Daniel. Erstaunlicherweise klingt er gar nicht beleidigt, sondern stellt diese Frage ganz sachlich.
»Ich, ich … äh …« Mist, was soll ich denn jetzt sagen?
»Okay, es war Benny. Dachte ich’s mir doch. Nur fürs Protokoll: Seine Mutter und ich sind seit drei Jahren geschieden. Benny lebt abwechselnd eine Woche bei mir und die andere bei Eva.«
Ich bin verwirrt: »Ist das denn nicht komisch für Benny? Er ist doch dann nirgendwo richtig zu Hause.«
»Nein. Er hat sogar zwei richtige Zuhauses , wenn man das so nennen kann. Zweifach tolle Eltern, zweifach cooles Spielzeug, zweifache Aufmerksamkeit, zweifache Liebe.«
Mein Herz zieht sich einen Augenblick zusammen. Als ich klein war, hatte ich so gut wie nichts davon. Noch nicht einmal in der einfachen Variante.
In diesem Moment ertönt Gebrüll aus dem Zimmer von Joris.
»Bist du im Zoo?«, fragt Daniel.
»Ja, so ähnlich. In einer Art Affenhaus«, antworte ich, als ich sehe, was Joris in der kurzen Zeit meines Telefonats angerichtet hat: Das Trampolin ist umgekippt, sämtliche Plüschtiere und Bücher sind aus den Regalen gerissen und Moppel , das Kaninchen, ist aus dem Käfig entwischt. Joris selbst ist nackt und hat sich über und über mit Wachsmalkreide bemalt. »Tut mir leid, aber ich muss Schluss machen«, ächze ich und kämpfe gegen einen akuten Anfall von Schnappatmung.
Wo um Himmels willen fange ich denn jetzt am besten an?
Ist Wachsmalkreide gefährlich für Kinderhaut, und was können freilaufende Kaninchen in einer Wohnung anrichten?
Ich wähle hektisch die Nummer von Jo, erwische aber nur die Mailbox. Ob ich in der Agentur ihres Mannes anrufe?
Doch bevor ich das tue, sollte ich vielleicht erst einmal Joris baden und Moppel dingfest machen. Alles andere nehme ich danach in Angriff. Prioritäten setzen, heißt das Zauberwort!
Also lasse ich Wasser in die Wanne laufen, schütte etwas Lillifee-Badezusatz hinein und mache mich auf die Suche nach Moppel. Doch das Kaninchen bleibt ebenso verschwunden wie Joris, den ich gerade ins Bad abkommandieren will.
Der Junge ist allerdings leichter zu finden als der Hase – er hatte sich in der Abstellkammer versteckt und findet sich irre lustig –, also
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