Kerstin Gier 2
Internet reinzieht?«, frage ich Daniel, als ich ihn zurückrufe, und erzähle ihm, dass ich Benny und seine Mutter im Weinladen gesehen habe. Doch anstatt sich zu wundern oder zu fragen, ob ich noch alle Nadeln an der Tanne habe, beginnt Daniel zu lachen. »Das ist Bennys neuste Methode, um seine Mutter zu ärgern. Wenn sie für seinen Geschmack zu sehr herumtrödelt oder ihn in Läden schleift, die ihn nicht interessieren, lässt er diese Drohung vom Stapel. Dabei weiß er im Übrigen gar nicht, was You-Porn ist. Er hat nur mal bei seinem älteren Cousin mitbekommen, dass das etwas ganz Schlimmes sein muss, und hat das spaßeshalber mal ausgetestet. Mit durchschlagendem Erfolg, wie du ja selbst gesehen hast.«
»Und findest du es in Ordnung, wenn Zehn- oder Elfjährige Teenies sich in Döner-Buden dermaßen abknutschen, dass man den Eindruck hat, sie gehen sich gleich an die Wäsche?«
»Hmm, na ja, es ist nun mal, wie es ist. Die Zehnjährigen von heute sind die Vierzehnjährigen von gestern. Aber ich würde sie natürlich darüber aufklären, was Safer Sex ist und ihnen Kondome kaufen.«
Diesen Satz muss ich erst einmal verdauen.
Denn das würde ja bedeuten, dass ich die Kinderbücher im Grunde für Vierzehnjährige schreiben müsste.
Und mit diesem Alter kenne ich mich bestens aus.
Manchmal habe ich den Eindruck, dass ich zwar rein äußerlich 35 bin, aber innerlich noch mitten in der Pubertät.
Und weil das so ist, frage ich Daniel, ob er Lust hat, morgen Abend bei mir vorbeizukommen und mit mir zu knutschen, dass sich die Balken biegen.
Und vielleicht, vielleicht sage ich Sonja morgen, dass ich den Vertrag doch unterschreibe.
Mal sehen, wie es sich anfühlt, sich einmal längerfristig auf etwas festzulegen.
Womöglich ist es gar nicht so schlimm, wie ich es mir immer vorgestellt habe?
Samstag
Die Geschichte war irgendwie auch supi-süß. Ich meine, so ist es doch: Erst wenn man sich näher mit Kindern beschäftigt, merkt man plötzlich, was sie einem geben, und irgendwie sollte jeder Kinder bekommen, damit er diese Gefühle erfahren kann und so. Musste wieder schrecklich weinen vor Rührung.
Mami (Kugelbauch) Ellen
Samstag
Wirklich, Ellen, deine Flennerei und deine Harmoniesucht nerven. Das sind die Scheiß-Hormone, wird Zeit, dass du endlich niederkommst und dir eine ordentliche postnatale Depression zulegst. Sorry, wieder keinerlei Identifikationsmöglichkeit für mich. Ich meine, gleich am Anfang, die Szene im Park! Ich hätte dieses Kind in den Kanal geworfen – natürlich, wenn gerade niemand geguckt hätte.
Sabine
Samstag
Ja, das hättest du, Sabine. Du bist wirklich eine Frau der Tat. Apropos: Die Assi-Kinder von nebenan statten unserem Garten und dem Hamsterschweinchen wieder Besuche ab − könntest du noch einmal mit dem Luftgewehr vorbeikommen?
Sonja
Samstag
Mein Lieblingssatz in der Geschichte: »Als wären Kinder eine ganz eigene Spezies und nicht etwas, das im Lauf der Jahre zu dem wird, was gemeinhin unter dem Namen Erwachsener bekannt ist.«
Sehr schön.
Sybille
Dagmar Hansen
Die Katze im Himmel
Die Wohnung, die Tobias vor drei Monaten gemietet hatte, war hell, gut geschnitten, bezahlbar, ruhig und im Grünen gelegen, aber mit guter Verkehrsanbindung, und noch dazu ein Geschenk des Himmels. Es war undankbar, an Geschenken des Himmels herumzumeckern, speziell an diesem, das ihm nach längerer Suche in den Schoß gefallen war, weil eine alte Dame – die Tante eines Kollegen – gestorben war. Tobias hatte trotzdem angefangen, sich zu fragen, ob er die Wohnung auch genommen hätte, wenn er gewusst hätte, dass der zehnjährige Sohn der alleinerziehenden Nachbarin zum Inventar gehörte. Bestimmt hätte er auch eine andere Wohnung gefunden, zumal er nicht unter Zeitdruck stand.
Tobias war an einem Samstag umgezogen. Am Sonntagmorgen um halb zehn, als er gerade in seiner neuen Küche mit Blick auf den großen Garten frühstückte, klingelte es – zweimal lang, zweimal kurz. Vor der Wohnungstür stand ein Junge mit hellblondem Lockenkopf und strahlte ihn an.
»Hallo! Ich war gestern bei meinem Papa zu Besuch, deshalb war ich nicht da, als Sie in Tante Schuhmanns Wohnung eingezogen sind.« Der Steppke plauderte weiter wie ein Wasserfall, und nach wenigen Minuten wusste Tobias, dass er Finn hieß, dass seine Mutter gerade im Park joggte, dass seine Katze Rosine hieß und sehr alt war und oft zur Tierärztin musste und dass Tante Schuhmann, die seine Freundin
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