Kerstin Gier 2
eine Haarsträhne hinters Ohr. »Du störst kein bisschen.«
Dieses Lächeln stellte die Abendsonne in den Schatten und landete wie eine Armee von Schmetterlingen in seinem Magen, der mit einem solchen Überfall nicht gerechnet hatte. »Dann, hm, setze ich mich gern einen Moment.« Tobias stellte seinen Korb ab und ließ sich mit weichen Knien auf der Decke nieder. Alles in ihm konzentrierte sich auf die Frau, die ihm gegenübersaß: Er registrierte, dass Annika gebräunt war und sich die Sommersprossen auf ihrer Nase und den Wangenknochen rasant vermehrt hatten. Die Sonne hatte ihre blonden Haare noch weiter aufgehellt, und sie trug ein gerüschtes grünes Kleid aus dünner Baumwolle mit Spaghettiträgern, das ihren Busen und die braunen Arme, auf denen goldene Härchen schimmerten, gut zur Geltung brachte. Sie sah so appetitlich aus wie einer der Pfirsiche, die im Garten vor der Mauer reiften, zum Anbeißen süß und saftig. Du lieber Himmel. Wie kam er auf so etwas? Hatte er sich etwa einen Sonnenstich eingefangen?
Na ja, es war schon ziemlich lange her, seit er eine Frau in den Armen gehalten hatte. Normalerweise dachte er nicht darüber nach, sein Leben lief rund ohne seine Ex Fiona. Und Fionas Leben lief auch rund, ohne Tobias als Bremsklotz hatte sie in Windeseile erreicht, was ihr wirklich wichtig war im Leben: Sie war schwanger, total glücklich verliebt und würde den wunderbaren Mann, der sie auf Händen trug und ihr jeden Wunsch von den Lippen ablas, im September heiraten. Sie hatte Tobias geschrieben, um ihn darüber in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass sie ihm nichts nachtrug, im Gegenteil, ihm total dankbar sei: Dass er die Beziehung beendet hatte, war das Beste, was ihr passieren konnte, denn so war der Weg frei geworden für die große Liebe ihres Lebens! Tobias wiederum war heilfroh, davongekommen zu sein. Gar nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn sie von ihm schwanger geworden wäre!
Tobias’ Freiheit vom Beziehungsstress schmeckte himbeersüß, und so sollte es bleiben. Heute Abend meldeten sich seine Hormone zu Wort, das war okay, er war ein Mann, keine Mumie. Es war erlaubt, sich zu fragen, ob die Pfirsichfrau mit der goldbraunen Haut genauso lecker duftete, wie sie aussah, und wie sie sich wohl anfühlte.
»Tobias?«, fragte Annika.
Er fuhr zusammen. »Ja?«
»Geht es dir gut? Du siehst so nachdenklich aus …?«
»Mir geht’s gut, danke.« Dass er die Pfirsichfrau am liebsten auf der Stelle vernascht hätte, konnte er ihr ja leider nicht erzählen. Ihm fiel ein, dass heute Vollmond war. Pfirsichrund würde er am Sommerhimmel leuchten, durchs Schlafzimmerfenster würde man ihn sehen können. Jetzt erkundigte sich Annika freundlich, ob ihn ein besonderes Anliegen zu ihr geführt habe?
»Na ja, Anliegen ist zu viel gesagt. Ich war nur ein bisschen neugierig. Wegen Finn.«
Sie zog die Augenbrauen hoch. »Wegen Finn? Hat er was angestellt? Oder geht er dir auf den Keks? Sag ihm ruhig, wenn er dich stört.«
Es dauerte einen Moment, bis Tobias eine Antwort einfiel, denn er war damit beschäftigt, in Annikas Augen zu schauen. Was für ein Blau, so leuchtend azurblau wie der Sommerhimmel … oder wie das Mittelmeer an einem windstillen Tag im August?
Du liebe Güte, diese Bilder im Kopf. Erst der Pfirsich, jetzt Azur! Poesie war überhaupt nicht sein Ding, er war Softwareentwickler, verdammt noch mal, und ein durch und durch nüchterner Mensch. Was war heute mit ihm los?! Drei Monate lang hatte er kaum einen Blick auf Annika verschwendet, und jetzt das …
Auf einmal kam ihm die Frage, die er stellen wollte, idiotisch vor. Ihm fielen auf Anhieb tausend Dinge ein, die er viel lieber herausfinden würde. Etwa, ob Annika gern Eis aß und eine Einladung ins Eiscafé annehmen würde. Welches Parfüm sie benutzte. Welche ihre Lieblingsblumen waren – Kornblumen, Klatschmohn und Margeriten würden besonders gut zu ihr passen. Sie war eine Frau wie eine Sommerwiese … Ob sie einen Freund hatte? Und wenn ja, ob sie es mit der Treue genau nahm? Ob sie ihn, Tobias, anziehend fand? Ob er wohl in ihrem Bett landen konnte? Laut sagte er: »Nein, er hat nichts angestellt. Ich wundere mich nur, dass er sich so gern mit mir unterhält. Um ehrlich zu sein, habe ich überhaupt keinen Draht zu Kindern.«
»Aber offenbar einen guten Draht zu Finn. Er hat dich ins Herz geschlossen. Aber das hast du ja selbst gemerkt, er besucht dich ja oft genug im Garten.«
Tobias gab ein Hmmmmh von sich
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