Kerstin Gier 2
Mann spazierte sie über den Wochenmarkt. Sie war viel zu beschäftigt, um Tobias zu entdecken, der gerade Tomaten und Knupperkirschen in seinem Rucksack verstaute, und mit einer Mischung aus Enttäuschung und Erleichterung feststellte, dass die Pfirschichfrau also einen Lover hatte. Dass Anbaggern nicht in Frage kam, war ihm allerdings schon vorher klar geworden. Gleich beim Aufwachen heute Morgen hatte er gemerkt, dass sich die stimulierende Wirkung von Vollmond und Sommer aus seinem Hormonsystem verflüchtigt hatte. Die Botschaft, die sein wieder tadellos funktionierendes Gehirn sendete, war eindeutig: Never fuck the Company und Never fuck your Nachbarin , das kann nur Ärger bringen. Doppelten Ärger, wenn die Nachbarin ein Kind hat. Dann sitzt du in der Falle, denn nur eine Wand trennt dich von dem symbiotischen Doppelpack ›Mami und Kind‹. Und überhaupt: Mamis wollen keine Liebhaber, sie wollen einen Mann, der sie entlastet und Papi-Pflichten übernimmt, ohne sich in die mütterliche Erziehung einzumischen. Wenn du was mit Annika anfangen würdest, könntest du dich darauf gefasst machen, lieber Tobias, dass du mit in den Zoo und auf Elternabende geschleppt wirst. Gibt es Stress mit dem Nachwuchs, ist Mami total neben der Spur, und du kannst dem Gejammer zuhören, bis dir die Ohren abfallen. Sex kannst du weitestgehend abhaken, denn Mamis sind entweder zu müde dafür oder haben Angst, dass ihr Sprössling etwas davon mitkriegen könnte.
Tobias unterbrach den Horrorfilm, der vor seinem geistigen Auge ablief – Finn platzt ins Zimmer, als er und Annika nackt im Bett liegen und gerade zur Sache kommen wollen – und atmete tief durch. Erleichterung breitete sich in ihm aus. Wie gut, dass Freunde und Kollegen ihre Beziehungserfahrungen mit alleinerziehenden Müttern mit ihm geteilt hatten, sodass er der Gefahr problemlos aus dem Weg gehen konnte. Wie gut, dass die Hauptstadt voller Singlefrauen ohne Anhang war! Wenn ihm der Sinn danach stand, konnte er mit Leichtigkeit in Bars und Clubs fündig werden. Er könnte sich auch einen Button anstecken, damit von vornherein alles klar war: Mütter, nein danke.
Am Donnerstagabend, als Tobias nach einer dreitägigen Dienstreise im Garten saß und die Stille genießen wollte, musste er stattdessen einen weinenden kleinen Jungen trösten. Die Katze Rosine sei tot, Sonntagabend sei sie gestorben. Mama habe Rosine in die mit rosa Rosen bedruckte Schachtel gelegt, und dann seien sie mit diesem Sarg mit der S-Bahn zu den Großeltern gefahren, die einen großen Garten hatten. Finn hatte bei der Vogelschutzhecke ein schönes Grab für Rosine ausgehoben. Es hatte sogar einen Grabstein bekommen, einen schwarz-weiß geflammten Feuerstein, den der Großvater einmal an der Ostsee gefunden hatte. Bei der Beerdigung hatten sie Der Mond ist aufgegangen gesungen, und Finn hatte ein Marmeladenglas mit Rosen auf Rosines letzte Ruhestätte gestellt. »Opa hat mir erlaubt, Graham Thomas abzuschneiden. Und Westerland. « Finn zog die Nase hoch.
»Wen?« fragte Tobias und reichte Finn gottergeben das blütenweiße, akkurat gebügelte Taschentuch, das er immer bei sich trug. Finn wiederholte die Namen und erklärte, dass es sich dabei um die Lieblings-Duftrosen seines Großvaters handelte, an denen man normalerweise bloß (vorsichtig) riechen durfte. Tobias’ Taschentuch hielt er fest umklammert – auf die Idee, es zu benutzen, kam er nicht.
»Und dann haben wir Eis gegessen«, sagte er und fing wieder an zu weinen. »Va-va-nihille-eis. Rosine mochte Vanilleeis. Sie durfte immer unsere Nachtischschüsselchen ausschlecken.«
Tobias klopfte ihm tröstend auf die Schulter. »Das klingt nach einem sehr schönen Begräbnis. Bestimmt hat es Rosine gefallen. Komm, putz dir mal die Nase.«
Finn trompetete gehorsam in das Taschentuch. Dann stotterte er unter Tränen: »Aaa-ber es ko-ko-konnte ihr nicht gefallen. Sie ist tot. Sie liegt in der Erde und löst sich auf, und dann sind nur noch ihre Knochen übrig.«
Tobias nickte. »Das stimmt.«
»Und irgendwann, in vielen hundert Jahren, haben sich auch die Knochen aufgelöst. Nichts bleibt von meiner Rosine übrig. Sie ist einfach weg.«
»Nein, sie ist im Himmel«, hörte sich Tobias sagen und war stolz auf sich, dass ihm eingefallen war, was man ihm als Kind zum Trost erzählt hatte, wenn es um den Tod ging.
Finn gab ein Schnauben von sich, das ziemlich wütend klang und legte los:
» Du sagst, sie ist im Himmel. Mein Opa sagt, es gibt
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