Kerstin Gier 2
ich verdrossen.
Die Mandantin blickte mich erstaunt an. »Soll ich das Fenster lieber zu lassen?«
»Nein, ist schon okay. Macht es Ihnen was aus, wenn ich einen Moment rausgehe? Ich muss noch ein dringendes Telefonat führen.«
Wie erwartet folgte Elfriede mir auf den Gang hinaus. Ich suchte mir eine stille Ecke, wo niemand mich dabei beobachten konnte, wie ich Gespräche mit einem unsichtbaren Dämon führte. Im Aktenraum wandte ich mich zu ihr um und sagte entschlossen: »Das muss aufhören. Ich kann so nicht arbeiten. Würde es dir etwas ausmachen, für immer in die Zwischenwelt zu verschwinden oder wo du sonst herkommst?«
»Ich bin wirklich nicht erpicht darauf, mich dir aufzudrängen, aber ich bin es meinem Sohn schuldig, auf dich aufzupassen.«
»Was hat Thomas damit zu tun?« Ich schluckte. »Er ist doch nicht etwa in der Zwischenwelt? Oder in der Hölle? Ist er etwa auch ein Dämon?«
»Was soll die blöde Frage? Er ist tot!«
Ich atmete erleichtert auf. Anscheinend konnten Tote sich nicht in Dämonen verwandeln. Wäre die ganze Situation nicht so absurd gewesen, hätte ich es fast als Silberstreif am Horizont betrachtet.
»Äh … Hast du den Hund meines Nachbarn gefressen?«
»Meinst du das ernst?? Hast du schon mal bemerkt, wie der aus dem Hals stinkt?« Elfriede gab ein rauchendes Rülpsen von sich. »Ich hab mir ein paar Enten aus dem Parkteich geholt. Aber keine Sorge. Am liebsten fresse ich andere Dämonen. Meistens.« Sie fletschte ihre Eckzähne, und ich wich unwillkürlich einen Schritt zurück, denn wer konnte schon wissen, was sie sonst noch fraß.
»Gibt es eigentlich viele Dämonen?«
»Massenweise. Und das ist ja auch der Grund, warum ich auf dich aufpassen muss. Sonst kommen sie dich holen.«
*
Ich musste meine ganze Kraft zusammennehmen, um nicht schreiend davonzulaufen, sondern mir den Rest ihrer Erklärungen anzuhören, denn sie behauptete, es sei für mich lebenswichtig. Zwischendurch musste ich vom Aktenraum auf die Damentoilette wechseln, weil Marlene mit einem Aktenstapel hereinkam und sich über mein vermeintliches Selbstgespräch wunderte. Sie schnüffelte »Stinkt hier, oder? Wie nach faulen Eiern.«
»Ich finde das sehr beleidigend«, sagte der Schwiegerdämon verärgert.
»Du solltest dich besser daran gewöhnen, du hast nun mal diesen extremen Körpergeruch«, sagte ich.
Marlene ließ fast die Akten fallen. »Ich dusche jeden Tag!«, entrüstete sie sich.
Ich entzog mich der unmöglichen Situation durch Flucht, natürlich gefolgt von Elfriede. Auf der Toilette war es noch enger als im Aktenraum, und fast wäre ich von dem Schwefelgestank, den ich offenbar viel stärker wahrnahm als alle anderen, zu Boden gesunken. Durch ein Taschentuch atmend, hielt ich mich an der Klotür fest und ließ mir von Elfriede ein paar Details erzählen, die, falls sie wirklich stimmten, quasi mein Ende bedeuteten.
Normalerweise, so erfuhr ich, konnten Dämonen so gut wie nie von der Zwischenwelt in die normale Welt übertreten. Manchmal taten sich Tore auf, die eine oder zwei der Kreaturen kurzfristig durchließen, doch diese Tore waren instabil und gingen schnell wieder zu. Die Dämonen, die dann noch das Pech hatten, sich in der normalen Welt aufzuhalten, verpufften einfach in einer Schwefelwolke, auf Nimmerwiedersehen, was ihren Artgenossen die Reiselust nachhaltig verdarb.
Die Tore, so berichtete Elfriede, waren meist Zufallsprodukte, doch manchmal kam es auch vor, dass jemand sie absichtlich installierte. Mit einem Zauber. Auch diese Tore taugten in der Regel nicht viel – bis auf das, das zuletzt errichtet worden war. Das, durch welches besagte miese Dämonen gekommen waren, um Elfriede zu schnappen. Das war ein besonderes Tor. Es blieb die ganze Zeit an derselben Stelle und öffnete sich in unberechenbaren Abständen. Und die Dämonen, die durchkamen, mussten nicht befürchten, wie üblich bei der nächsten Schließung zu verpuffen, sondern konnten bequem abwarten, bis es wieder aufging. Bis dahin konnten sie fröhlich in der normalen Welt Abenteuer erleben, was für sie so eine Art Safari und Schlemmertour in einem bedeutete. Und ihr Appetit beschränkte sich nicht auf Enten. Sie fraßen auch Anwälte und andere Menschen.
Elfriede selbst hatte dieses gefährliche Tor installiert. Sie hatte einen neuen Zauber ausprobieren wollen, der dann aber leider aus dem Ruder gelaufen war.
Sie stieß eine Schwefelwolke aus. »Das war bloß deine Schuld. Du hast den Schutzzauber
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