Kerstin Gier 2
»Ich habe keinerlei Hintergedanken. Ich wollte dich nur aufwecken.«
»Elfriede, bist du das etwa?«, flüsterte ich, von Entsetzen erfüllt.
»Was dachtest du denn?«
»Hast du ein Faschingskostüm an?« Ich beugte mich vor, vielleicht hatte sie Stelzen benutzt oder so, doch da waren nur warzige, monströs stämmige Beine. Und Plattfüße mit Schwimmhäuten zwischen den Zehen. Und diese gewaltigen, hauerartigen Zähne – dafür hätte Elfriede stundenlang in der Maske sitzen müssen, mit einem Weltklasseprofi von Kostümbildner. Es gab nur zwei Möglichkeiten. Ich war verrückt geworden, oder dieser Dämon war echt.
»Du bist nicht verrückt geworden«, sagte der Elfriede-Dämon.
»Kannst du Gedanken lesen?«, fragte ich benommen.
»Leider nicht. Jetzt sieh mich nicht so an! Ich weiß, dass ich scheiße aussehe.«
Das war noch milde formuliert, doch ich ritt vorsichtshalber nicht darauf herum. Dieser Dämon hatte extrem scharf aussehende Krallen an seinen hornigen Riesenpranken.
»Was ist passiert?«, flüsterte ich.
»Ich konnte mit der blöden Zahnpasta keinen gescheiten Schutzzauber anbringen, das ist passiert. Und jetzt haben wir den Salat.«
»Was genau meinst du damit?«
»Sie sind gekommen und wollten mich schnappen«, informierte mich der Elfriede-Dämon. »Ich konnte sie erledigen, aber nur in dieser Gestalt.«
»Du bist also wirklich … Elfriede?«
»Wie oft soll ich es dir denn noch sagen?«, fragte der Schwiegerdämon gereizt zurück. Sein Atem traf mich in einem giftig-schwefligen Schwall, und ich wich unwillkürlich zurück und tastete nach meinem Handy.
»Was hast du vor?«, wollte sie wissen.
»Ich rufe die Ambulanz. Im Krankenhaus werden sie dich schon wieder hinkriegen.«
Elfriede pflückte mir mühelos das Handy aus den zitternden Fingern. »Das würde ich lieber lassen. Die Leute werden mich nicht sehen.«
»Warum nicht?«
»Weil ich mich unsichtbar machen kann. Außerdem bin ich nicht krank. Ich habe lediglich die Gestalt eines Dämons angenommen.«
»Ach so«, sagte ich, als hätte sie gerade die einleuchtendste Erklärung der Welt abgegeben. Ich räusperte mich und versuchte, dabei nicht zu viel von dem widerwärtigen Dämonengestank einzuatmen, im Stillen hoffend, dass es vielleicht doch nur ein Albtraum war. »Was genau ist denn eigentlich passiert?«
Der Schwiegerdämon zuckte die Achseln, es sah merkwürdig aus mit all diesen knotig verwachsenen Stellen auf den Schultern. »Aus der Zwischenwelt kamen ein paar ziemlich krasse Wesen, und um sie zu killen, nahm ich diese Gestalt an …«
»Moment mal«, fiel ich ihr ins Wort. »Soll das heißen, du hast dich absichtlich verwandelt?«
»Klar. Wie soll ich sonst die anderen Dämonen erledigen?«
Sie sagte das mit der größten Selbstverständlichkeit. So, als wären all diese Geschichten aus Supernatural oder Buffy wahr. Tja, vielleicht waren sie es. Ich sollte diese Möglichkeit langsam in Betracht ziehen, jedenfalls so lange, bis mich jemand von hier wegholte und in eine sichere Gummizelle brachte.
»Bist du so eine Art Dämonenjäger?«
»Sagen wir, es gibt manchmal etwas Stress mit ein paar gemeinen Biestern aus der Zwischenwelt.«
»Hast du Dämonenblut in dir?«, fragte ich tapfer. Was ich in Wahrheit wissen wollte, war, ob es vielleicht erblich war. Thomas hatte zwar nie dämonenhaft auf mich gewirkt, nicht einmal, wenn er schlechte Laune gehabt hatte, aber bei Elfriede war es ja auch ganz plötzlich zutage getreten.
»Red keinen Schwachsinn!«, tadelte Elfriede mich. »Nur weil ich zufällig wie ein Dämon aussehe, muss ich noch lange keiner sein.«
»Kannst du dich nicht einfach zurückverwandeln?«
»Wenn das so einfach wäre, hätte ich es schon längst gemacht.«
»Was brauchst du denn, damit es klappt?« Hoffnungsvoll fügte ich hinzu: »Vielleicht geht es mit Kerzen und Kreide.«
Sie schnaubte nur verächtlich. Aus ihren Nüstern quoll abermals stinkender gelber Qualm. Ich überlegte, sie darum zu bitten, das bleiben zu lassen, doch ich fürchtete, sie damit wütend zu machen. Ich hatte ja sogar schon Angst vor ihr, wenn sie ganz normal war, umso schlimmer war es beim Anblick dieser Reißzähne.
»Ich könnte jetzt was zu essen vertragen«, sagte Elfriede.
Ich fuhr zurück, denn ihr Blick kam mir plötzlich irgendwie … gierig vor. »Soll ich dir ein Brot machen?«, fragte ich eilig.
»Nein danke, Brot und solchen Kram vertrage ich in dieser Gestalt nicht. Ich ziehe los und besorge mir selbst
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