Kerstin Gier 2
müsste es nachschlagen, aber ich glaube, er ist 112 Quadratkilometer groß. Die vielfältigen Tier- und Pflanzarten, die dort beheimatet sind, würde ich sehr gerne erforschen.«
»In einem richtigen Zelt?«, fragte Josha. »Alle zusammen?«
Das war eine Frage nach Michaels Geschmack. »Alle zusammen, Josha. Wäre das nicht toll?«
Josha nickte begeistert.
»An die Müritz zu fahren, wäre eine Option«, fuhr Michael fort. »Wobei ich eher an die französische Atlantikküste dachte.«
»Wenn schon Zelten, dann in San Fran oder L.A.«, sagte Lasse.
»Viel zu teuer, mein Sohn«, erwiderte Michael. »Aber in Frankreich oder in Mecklenburg-Vorpommern würde es dir auch gefallen, da bin ich mir sicher.«
Lasse blickte zu seiner Mutter, die bislang geschwiegen hatte. »Ich könnte auch mit Ole und seinen Eltern nach Sardinien fahren. In Oles Zimmer stehen zwei Betten.«
»Vielleicht im nächsten Sommer, Lasse. In diesem Jahr wollen wir alle gemeinsam verreisen.«
»Schade, dass du nicht die Gabe der Bilokation besitzt, Brüderchen«, mischte Alma sich ein.
»Was soll das denn sein?«
»Die Fähigkeit, sich an zwei Orten gleichzeitig aufzuhalten«, erklärte Alma.
»Geht das überhaupt?«, fragte Lasse.
Bevor Alma zu einer Erläuterung ansetzen konnte, ergriff ihr Vater das Wort. »Ihr würdet mir eine Freude machen, wenn wir dieses und andere Themen später erörtern und zuerst über unseren Urlaub reden könnten! Also: Wie findet ihr meine Idee?«
»Gut«, sagte Josha.
»Ich bin dafür, wenn wir nach Mecklenburg-Vorpommern fahren«, teilte Alma mit.
»Wenn ich das überhaupt mache, will ich ein eigenes Zelt. Ich schlafe auf keinen Fall mit den Kleinen zusammen.«
»Ich bin zwölf Jahre alt«, erwiderte Alma hoheitsvoll. »In vier Monaten werde ich dreizehn, dann bin ich ein sogenannter Teenager. Das Wort klein ist bezogen auf meine Person folglich unangemessen.«
Michael verdrehte die Augen. »Ist es in dieser Familie eigentlich nie möglich, bei einem Thema zu bleiben?«
Franziska lachte laut auf und legte ihrem Mann besänftigend die Hand auf den Arm. »Lasst uns abstimmen«, schlug sie vor.
Drei Hände glitten sofort in die Luft.
Michaels enttäuschter Blick streifte Franziska. »Komm schon, Franzi! Sei kein Spielverderber.«
Alma kam ihrer Mutter zuvor. »Ich bin zwar keine Feministin, aber eine Freundin des korrekten Sprachgebrauchs. Mama kann also höchstens eine Spielverderberin sein.«
In diesem Moment blitzte in Lasses Gesicht ein winziger Hoffnungsschimmer auf. »Ihr drei geht zelten. Mama und ich fliegen nach Amerika.«
»Oh ja, wir plündern dein Konto«, antwortete Franziska, die genau wusste, dass Lasse knapp fünfhundert Euro auf dem Sparbuch hatte. Ernster werdend, fügte sie hinzu. »Aber wie gesagt: In diesem Jahr fahren wir alle zusammen.«
Michael kehrte zu seinem Thema zurück. »Bitte, Liebling! Heb dein hübsches Händchen.«
»Putzen, fegen, kochen?«
Michael nickte ergeben. »Alles, was du willst. Hauptsache, wir zelten.«
Franziska warf ihrem Gatten einen letzten prüfenden Blick zu, dann hob auch sie die Hand.
»Vier zu eins«, jubelte Josha. »Wir haben gewonnen!«
»Du bist die wunderbarste Frau der Welt«, sagte Michael und über seine Lippen glitt ein Lächeln, das in diesem Moment dem von Josha glich, wenn er ein besonders schwieriges Legomodell aufgebaut hatte. »Der Urlaub wird euch gefallen«, ergänzte er und fuhr zu Lasse gewandt fort: »dir auch. Dafür verbürge ich mich.«
»Na, wenn du meinst«, antwortete Lasse gedehnt.
Einen Tag später kaufte Michael ein Familienzelt mit dem hübschen Namen Sunset-Lodge, ein feuerrotes Einpersonenzelt für Lasse und ein Hilleberg-Soulo für Alma und Josha. Alma wusste sofort, dass »Soulo« das samische Wort für Insel ist. Ihre Eltern und Geschwister wussten nicht einmal, dass es sich bei »Samisch« um eine Sprache handelte. Geschweige denn in welchem Land sie gesprochen wurde. Darüber hinaus trug Michael fünf Isomatten, fünf Schlafsäcke und jede Menge Campinggeschirr aus dem Auto in den Keller.
Als Franziska wenig später die Rechnung sah, musste sie sich sehr zurückhalten. Sonst hätte sie vermutlich gesagt, dass man für diesen horrenden Betrag einen ziemlich komfortablen All-inclusive-Urlaub buchen könnte. Aber Michael wirkte so glücklich, dass sie ihm seine kindliche Freude nicht verderben wollte.
Nicht einmal der Besuch von seiner Mutter, mit der er sich nicht gut verstand, brachte Michael aus
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