Kerstin Gier 2
»Lieber nicht! Sonst bekommen wir es vielleicht nicht mehr zurück ins Paket.«
»Aber wir wollen es doch nach dem Urlaub auch wieder mit nach Hause nehmen, oder?«, fragte Alma.
»Selbstverständlich«, antwortete ihr Vater. »Aber es jetzt auszupacken, ist Blödsinn. Wir können es ja auch nicht aufpumpen.«
»Oder damit fahren«, ergänzte Franziska.
Josha zog die Nase hoch. »Ich habe eine Pumpe.«
Franziska und Michael warfen sich einen Blick zu. Das waren die Momente, in denen sie sich fragten, ob andere Eltern auch mit so hartnäckigen Kindern geschlagen waren.
Wie so oft fand Franziska die rettende Lösung, oder zumindest eine, die Josha zufriedenstellen würde: »Wir könnten stattdessen das große Zelt im Garten aufbauen.«
»Au ja!«
»Wieso das denn?«, fragte Michael, der sich schon im Auto darauf gefreut hatte, vor dem Abendessen noch eine halbe Stunde im Garten zu sitzen und in aller Ruhe die Zeitung lesen zu können.
»Bei einem Schlauchboot kann nichts fehlen. Bei einem Zelt schon. Stell dir vor, es gibt zu wenig Stangen. Oder die Heringe fehlen«, erklärte Franziska.
»Sind Fische im Zelt?«, fragte Josha erstaunt.
»Mit Heringen verankert man das Zelt im Boden«, sagte Alma. »Das ist übrigens ein Teekesselchen: Hering, der Fisch, und Hering, der Verankerungsstift. Wie Löwenzahn und Löwenzahn.«
Michael fühlte sich plötzlich sehr müde. »Ich habe das Ding in einem Fachgeschäft gekauft und nicht auf dem Flohmarkt. Da fehlt garantiert nichts.«
Franziska liebte ihren Mann sehr. Sie schätzte seine liebevolle, zugewandte Art, seine Fähigkeiten als Vater, Ehemann, Gesprächspartner, Freund und Liebhaber, und sie war sich absolut sicher, dass sie vor fünfzehn Jahren die richtige Entscheidung getroffen hatte, als sie ihm ein »Ja, ich will« entgegengeschleudert hatte, das noch im Flur des Standesamtes zu hören gewesen war. Aber jeder Mensch hatte eine Schwäche. Michaels bestand darin, zwei linke Hände und nicht die geringste praktische Veranlagung zu besitzen. Das begann damit, dass er bereits das Einschrauben von Glühbirnen problematisch fand, und hörte noch lange nicht damit auf, dass Computer seine Feinde waren.
An dem Tag, als er erstmals von seinen Urlaubsplänen berichtet hatte, war vor Franziskas geistigem Auge sofort das Bild eines verzweifelten Mannes aufgetaucht, der zwischen zahlreichen Stangen und Planen auf dem Boden saß und fluchend versuchte, alle Teile zu einem aufrecht stehenden Zelt zusammenzufügen.
Taktvoll hatte sie die Frage nach dem Zeltaufbau ausgelassen. Zugleich aber gedacht, wie gut es war, dass sie solche Dinge konnte – können musste – und dass Lasse, der in dieser Hinsicht auf seine Mutter kam, alt genug war, um ihr zu helfen.
»Kommt, wir tragen es in den Garten und bauen es zusammen auf«, schlug sie vor. »Und Josha hilft uns. Hast du Lust, Josha?«
Der Sechsjährige strahlte. Schlauchboot, Flugzeuge und gemeine Klassenkameraden waren vergessen.
Wenn Michael, Josha – und auch Alma – Franziska nicht ständig im Weg gestanden und irgendetwas falsch gemacht hätten, wäre Franziska in einer knappen halben Stunde mit dem Aufbau fertig gewesen. So brauchte sie länger als eine Stunde bis die Sunset-Lodge im Garten stand. Aber als es dann endlich so weit war, fand sie das Zelt ziemlich beeindruckend. Vor allem, weil es wirklich riesig war. Allein das Vorzelt übertraf die Ausmaße des Weberschen Badezimmers bei Weitem. Erschöpft sank Franziska auf die Gartenbank und begutachtete ihr Werk.
Sie hatte noch keine Minute gesessen, als Josha fragte: »Bauen wir jetzt Almas und mein Zelt auf?«
Franziska schüttelte entsetzt den Kopf. »Auf keinen Fall!«
»Auch unser Zelt könnte einen Herstellungsfehler aufweisen«, gab Alma zu bedenken.
»Egal«, sagte Franziska, »in die Sunset-Lodge passen außer uns allen auch noch Oma, Onkel Paul und all eure Freunde.«
»Fahren Oma und Onkel Paul auch mit?«, fragte Josha.
Bevor Franziska oder Michael Joshas Frage entsetzt verneinen konnten, ergriff Alma das Wort: »Jetzt widersprichst du dir aber, Mama. Vor einer Stunde hast du noch behauptet …«
Franziska überlegte. »Fragt Lasse, ob er es mit euch aufbaut«, seufzte sie schließlich. »Oder versucht es selber. Ich rühre keinen Finger mehr.«
»Ich auch nicht«, erklärte Michael. Die hochgezogene Augenbraue seiner Gattin übersah er geflissentlich.
Es blieb schwierig. Immer wenn die Sprache auf den Sommerurlaub kam, betonte Lasse,
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