Kerzenlicht Für Eine Leiche
alarmierend. Jeder Atemzug bedeutete einen Kampf. Die stickige Atmosphäre musste alles noch schlimmer machen. Warum öffnete sie bloß kein Fenster und ließ frische Luft herein?
Schnauf – ächz – rassel. Es klang wie im Maschinenraum eines alten Dampfschiffs. Meredith wurde von Schuldgefühlen gequält. Sie sollte nicht hier sein und eine kranke Frau belästigen. Doch Mrs. Archibald erweckte nicht den Eindruck, als hätte sie etwas gegen Merediths Besuch. Sie hatte wahrscheinlich nur selten Gäste.
»Ja, ich erinnere mich undeutlich. Derek kam zu spät von einer Sitzung nach Hause und erzählte, dass Janet Etheridge wieder einmal Wirbel gemacht hätte.« Mrs. Archibald schnaubte.
»Es war wirklich nichts Ungewöhnliches! Sie bestand darauf, dass alle zur Kirche latschten, und als sie dort waren, gab es nichts zu sehen außer einer heruntergebrannten Kerze und ein paar welken Blumen. Kinder, meinte Derek. Kleine Teufel, die Kinder in dieser Gegend, das kann ich Ihnen sagen!« Mrs. Archibald wurde lebhaft und das Schnaufen und Rasseln schlimmer.
»Ich hatte jede Menge Scherereien mit ihnen! Sie würden nicht glauben, wie diese Kinder sich vor meinem Haus benehmen! Sie wissen, dass ich hier drin bin und nicht nach draußen kann, geschweige denn ihnen hinterherrennen! Ich war nie kräftig. Ich war immer ein schwächliches Kind. Der Arzt hat zu meiner Mutter gesagt, dass er nicht glaubt, dass ich groß werde. Ich hab hier irgendwo ein Foto von früher. Darauf sehe ich aus wie die dort.« Sie deutete auf eine Dresdner Porzellanfigur, eine Schäferin in Pink und Grün.
»Ein schmächtiges, zerbrechliches kleines Ding.« Es war schwer zu glauben, ohne Foto als Beweis. Meredith vermutete, dass das Wort
»zerbrechlich« eine Beschönigung darstellte.
»Kränklich« als Attribut war sicherlich treffender. Mrs. Archibalds gegenwärtige Konstitution war Folge ihres Gebrechens, doch ihr Körperbau ließ darauf schließen, dass sie niemals klein oder gar zierlich gewesen war. Ein stabiles, aber blasses und ungesundes Kind vielleicht. Meredith begann zu verstehen, woher Alans Abneigung gegen die Frau mit ihrer selbstmitleidigen und tadelsüchtigen Art rührte. Mrs. Archibald lamentierte noch immer über das ungebärdige Benehmen heutiger Kinder.
»Ich hätte mich niemals so aufgeführt, als ich jung war! Wir wurden von unseren Eltern im Zaum gehalten! Heute streunen die Bälger umher und machen, was sie wollen. Ich traue mich gar nicht, Ihnen zu erzählen, was sie angestellt haben!« Die letzten Worte entsprachen eindeutig nicht der Wahrheit. Die schnaufende Mrs. Archibald brannte förmlich darauf, Meredith zu berichten, was die Kinder angestellt hatten. Die Unterhaltung verlief nach Mrs. Archibalds Bedingungen. Ermutigend sagte Meredith:
»Ich weiß. Sie können wirkliche kleine Teufelsbraten sein. Was haben sie denn angestellt?« Erfreut nahm Mrs. Archibald zur Kenntnis, dass sie bei Meredith Unterstützung erhielt.
»Sie haben draußen auf der Straße herumgestanden und Dinge gerufen, das haben sie! Schmutzige Dinge! Wörter, die kein Kind kennen sollte, wissen Sie? Und sie haben mir schmutzige Bilder durch den Briefkastenschlitz geschoben!«
»Schmutzige Bilder?«
»Von nackten Frauenspersonen! Sie haben sie aus diesen liederlichen Magazinen herausgerissen, die man heute an jedem Kiosk kaufen kann! Pfui Teufel. Schändlich nenne ich das, jawohl! Die Zeitschriftenhändler stellen die Magazine in die obersten Regale, aber die Kinder kommen irgendwie immer noch dran!« Nach Janet Etheridges Bericht galt das nicht nur für die Kinder, sondern auch für Mr. Archibald. Seine Frau wusste wahrscheinlich nichts davon. Wo, so fragte sich Meredith, versteckte Derek seine Sammlung pornografischer Literatur? Bestimmt nicht hier zu Hause. Im Schuppen hinter dem Geschäft?
»Ich war außer mir! Genau wie Derek! All die Jahre war er im Kirchenvorstand, und dann so etwas!« Mrs. Archibalds Gesicht war inzwischen so farblos, dass Meredith befürchtete, sie könnte einen Anfall erleiden.
»Sie haben Dinge an meine Gartenmauer gekritzelt! ›Derek Archibald ist ein alter Schmutzfink!‹, haben sie geschrieben. Ich habe die Polizei gerufen. Sie kam vorbei und fragte mich, ob ich wüsste, wer das getan hätte! Natürlich wusste ich es, die Kinder, habe ich den Beamten gesagt. Welche, haben sie gefragt, aber das konnte ich ihnen nicht sagen. Diese kleine Biester sehen doch alle gleich aus! Und dann sind die Beamten wieder gefahren,
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