Kerzenlicht Für Eine Leiche
erzählt!« Das war ein viel versprechender Anfang, andererseits fragte sich Meredith, welche Geschichten James Holland den alten Leuten erzählt hatte.
»Es tut ihm Leid, dass er nicht selbst kommen konnte. Wie geht es Ihnen, Mrs. Merrill?«
»Nennen Sie mich Daisy. Jeder nennt mich so. Mir geht es gut, danke. Bitte richten Sie James aus, dass ich verstehe, wie es im Augenblick um ihn bestellt ist und wie beschäftigt er sein muss. Es ist dieser schreckliche Mord, nicht wahr? Ich habe in der Zeitung darüber gelesen.« Daisy blätterte in der Zeitung, bis sie den gewünschten Artikel gefunden hatte.
»Hier steht alles drin. In der nationalen Presse, stellen Sie sich vor! Sie haben sogar ein Foto des Mädchens abgedruckt!« Vielleicht war Miss Merrill eine jener Personen, die sich hauptsächlich für Geschwätz interessierten, vorzugsweise grausige Nachrichten. Vielleicht übten Geschichten von Untaten und Metzeleien auf die Bewohner des Cedars eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus. Vorsichtig antwortete Meredith:
»Ja. Diese Geschichte hat tatsächlich viel Interesse erweckt.«
»Es ist kein schlechtes Foto, wissen Sie?«, sagte Miss Merrill fachmännisch. Meredith hielt das Bild eher für unscharf und eine insgesamt schlechte Reproduktion.
»Sehr gut, wirklich sehr gut«, sagte Miss Merrill in direktem Widerspruch. Noch unerwarteter fügte sie hinzu:
»Sie ist gut getroffen.« Meredith spürte, wie sich in ihrem Bauch etwas zusammenzog.
»Getroffen? Woher wissen Sie das?« Daisy Merrill faltete die Zeitung so, dass das Foto von Kimberley zu sehen war, ohne Merediths Frage gleich zu beantworten. Stattdessen sagte sie zögernd:
»Ich bin froh, dass Sie gekommen sind. Ich möchte nämlich jemanden um Rat fragen. Ich könnte die Schwester fragen, aber sie hat immer so viel zu tun. Außerdem möchte ich eine unparteiische Meinung. Sie sehen aus, als könnten sie sich in die Lage anderer Menschen hineinversetzen. Bestimmt können Sie mir einen praktischen Rat geben.«
»Nur zu, fragen Sie. Ich weiß allerdings nicht, ob ich helfen kann.« Meredith nahm in einem Stuhl neben der alten Dame Platz und bemühte sich, ihre Erregung nicht offen zu zeigen. Zu leicht konnte sie Daisy erschrecken, und dann war es vorbei mit dem vertraulichen Ton.
»Worum geht es denn?« Daisy hielt ihr erneut die Zeitung hin.
»Es geht um das Mädchen, wissen Sie?« Mit einem runzligen Finger deutete sie auf das unscharfe Bild.
»Ich denke darüber nach, ob ich die Schwester bitten soll, die Polizei anzurufen. Ich habe Angst, nur ihre Zeit zu verschwenden. Auch wenn hier in der Zeitung steht, dass sie mit jedem sprechen möchten, der sie gekannt hat.«
»Sie kannten sie?« Meredith setzte sich mit einem Ruck auf.
»Sind Sie sicher? Ich meine, verzeihen Sie, natürlich sind Sie das. Woher kannten Sie das Mädchen?«
»Zunächst einmal habe ich sie zur Welt gebracht.« In Daisys Augen zeigte sich ein Glitzern, als sie die Überraschung auf dem Gesicht ihrer Besucherin erkannte.
»Ich war Hebamme. Hat James Ihnen das nicht gesagt? Offensichtlich nicht. Andererseits – warum sollte er? Ich habe den größten Teil meines Berufslebens in Bamford und Umgebung gearbeitet. Ich habe eine ganze Generation zur Welt gebracht, nicht nur die kleine Kimberley.«
»Und Sie haben den Kontakt aufrechterhalten?« Anscheinend hatte sie das, denn sie hatte auf dem Bild in der Zeitung Kimberley Oates als Teenager wiedererkannt. Daisys runzlige Hände lagen auf der Zeitung. Ihre verblassten Augen starrten an Meredith vorbei und durch die Fenster der Veranda hinaus in den Garten, und sie sah Dinge, die nicht dort draußen waren.
»Wenn man so vielen Müttern bei der Geburt hilft, dann erinnert man sich nicht mehr an alle. Doch die Oates-Familie war in mehrerlei Hinsicht keine gewöhnliche Familie. Zunächst einmal war Kimberleys Mutter Susan sehr jung. Sie war gerade sechzehn, und der Hausarzt der Familie wollte, dass das Kind im Krankenhaus zur Welt kommt. Es war wirklich kein Fall für eine Heimgeburt. Aber Susan widersetzte sich jeder Form von Autorität. Sie war ein eigenwilliges Mädchen, und sie hörte nicht auf den Rat anderer. Sie sagte, dass sie nicht in ein Krankenhaus gehen würde und dass sie ihr Baby zu Hause zur Welt bringen wollte. Und das tat sie dann auch.«
»War es eine unkomplizierte Geburt?«, fragte Meredith.
»O ja. Hätten wir Probleme erwartet, hätten wir darauf bestanden, dass sie ins Krankenhaus geht. Aber nein. So
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