Kerzenlicht Für Eine Leiche
dieser Flächen stand der Baum, der dem Haus den Namen gegeben hatte.
Meredith war inzwischen ausgestiegen. Sie lehnte an ihrem Wagen, die Arme vor der Brust verschränkt, und ließ den Anblick auf sich wirken. Es war ein hübscher Anblick. Alles sah teuer aus. Dies war kein Pflegeheim, das mit einem engen staatlichen Budget zurechtkommen musste. Es war gedacht für Menschen, die entweder genügend Geld besaßen oder deren Familien es sich leisten konnten, dafür zu zahlen, dass ihre Alten die letzten Jahre in angenehmem Komfort verbrachten.
Meredith zögerte. Es widerstrebte ihr, die Türen zu durchschreiten. Wir stellen uns alle vor, dass wir eines Tages anders enden, dachte sie. Wir sehen uns nicht in Pflegeheimen, ganz gleich, wie gut oder schick sie sein mögen. Sag, was du willst – wenn man erst einmal in einem dieser Heime gelandet ist, kommt man lebend nicht wieder heraus.
Die Eingangshalle passte zum Exterieur des Hauses. Alles war geschmackvoll und auf Hochglanz poliert. Blumenvasen standen an den strategisch richtigen Stellen. Über allem lag der Ausdruck erhabener Vornehmheit. Man hatte viel Mühe darauf verwandt, den Eindruck zu erwecken, dass es sich eigentlich gar nicht um ein Altenpflegeheim handelte, sondern um eine Art Hotel für ältere Dauergäste. Neuzugänge sowie deren Familienangehörige waren sicherlich dankbar für die wohlgemeinte Täuschung.
Der schwache Geruch nach gegartem Gemüse verdarb den Eindruck ein wenig, und aus einem Aufenthaltsraum war ein Fernseher zu hören, auf höchste Lautstärke aufgedreht. Beide Faktoren zusammen zerrissen den Schleier der Vornehmheit. Dies war ein Heim für alte Menschen, ganz gleich, wie sehr man sich bemühte, diese Tatsache zu überspielen.
Die Oberschwester war eine kleine stämmige Frau mit rotem Gesicht und derben Zügen. Im Einklang mit der allgemeinen Politik des Heims trug sie keine Uniform, sondern ein Kattunkleid. Das dichte graue Haar war glatt nach hinten gekämmt und stand hoch wie eine Drahtbürste. Sie sieht aus, als hätte sie in einer Windbö der Stärke neun gestanden, dachte Meredith. Der Eindruck verstärkte sich, als die Schwester sprach.
»Hallo!«, dröhnte sie Meredith entgegen.
Meredith erklärte, wer sie war, und nannte den Grund ihres
Kommens.
»Wir haben bereits von Ihnen gehört!«, brüllte die Schwes ter fröhlich.
»Der Padre hat angerufen. Daisy wird sich freuen. Sie mag es, neue Gesichter zu sehen. Sie sitzt draußen auf der Veranda.« Auf dem Weg dorthin kam Meredith am Tagesraum vorbei. Auf einem monströsen Fernsehschirm lief ein völlig unangemessenes Kinderprogramm. Drei alte Damen saßen davor. Zwei von ihnen unterhielten sich und ignorierten den Apparat. Die dritte war eingeschlafen. Neben ihrem Sessel stand aus unerfindlichen Gründen ein Koffer. Wie können sie sich bei diesem Lärm nur unterhalten oder gar schlafen?, fragte sich Meredith.
»Sie mögen es, wenn der Fernseher läuft«, sagte die Tagesschwester in rauem Flüsterton.
»Er gibt ihnen das Gefühl, als würde ringsum etwas geschehen. Langeweile ist ein ernstes Problem, wissen Sie? Wir laden Leute ein, die Vorträge halten und Filme zeigen. Der Padre hat gesagt, Sie wären ziemlich gut. Sie könnten nicht vielleicht vorbeikommen und bei uns einen kleinen Vortrag halten?«
»Ich denke darüber nach«, sagte Meredith und verbarg ihr Erschrecken nur mühsam.
»Etwas ganz Einfaches, Kurzes, wissen Sie? Die meisten schlafen sowieso mittendrin ein.« Die Veranda war von Glas umschlossen und lag auf der Südseite des Hauses. Mehrere ältere Menschen dösten in Liegestühlen vor sich hin und untermauerten damit die Worte der Schwester. Eine einzelne Frau war wach und verlangte lauthals zu wissen, wer ihre Zähne weggenommen hätte. Erneut stieg das ungute Gefühl in Meredith auf.
»Wir kümmern uns gleich darum, keine Sorge«, versicherte die Schwester der Besitzerin der verlorenen Zähne und schob Meredith weiter. Daisy Merrill war, wie Meredith zu ihrer ausgesprochenen Erleichterung feststellte, eine lebhafte schmale, kleine Person, die kerzengerade in einem Korbstuhl saß, eine bunte Häkeldecke über den Beinen und eine Brille am unteren Ende der Nase. Es sah aus, als hätte sie in der Zeitung gelesen. Alles deutete darauf hin, dass sie ihren Verstand beisammenhatte.
»Ah, mein Besuch!«, sagte sie und legte die Zeitung beiseite.
»Wie schön, dass Sie gekommen sind, meine Liebe. James Holland hat uns angerufen und alles über Sie
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