Kesseltreiben
wie auswendig gelernt.«
»Das ist wohl nicht weiter ungewöhnlich.« Toppe trank einen Schluck Kaffee. »Wie oft hat wohl jeder Kesseler diese Geschichte in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren zum Besten gegeben, an der Theke, auf Vereinsfesten? Da entsteht auf die Dauer so eine Art Einheitstext.«
Cox nickte. »Eine Diskrepanz entdecke ich allerdings: Goossens sagt aus, die Maas habe in den letzten Jahren vor der Tat keine Männerkontakte mehr gehabt, wohingegen Herta van Beek angibt, die Frau habe sogar während der Schwangerschaft wechselnde sexuelle Beziehungen gehabt.«
Bernie Schnittges machte eine wegwerfende Handbewegung. »Auf die Aussage der van Beek würde ich nicht allzu viel geben. Die war völlig auf Sex fixiert und gierte geradezu danach, mir davon zu erzählen. Der macht es Freude, Gift zu verspritzen.«
Penny kritzelte etwas auf ihren Block. Sie hatte eine winzige Handschrift, die niemand außer Cox entziffern konnte, und selbst der hatte seine liebe Mühe damit.
»Ich würde wirklich gern wissen, wie Sabine Maas ausgesehen hat«, sagte sie. »Wie sieht jemand aus, der sich von einem netten, ordentlichen Mädchen in eine sexbesessene, perverse Kindermörderin verwandelt haben soll? Meint ihr, wir können ein Foto von ihr auftreiben?«
»Versuch et ma’ beim ‹Stern›, Peter«, schlug Ackermann vor. »Der Kindermord is’ bestimmt durche überregionale Presse gegangen.«
»Kann ich machen«, stimmte Cox zu. »Es gibt aber auch noch eine andere Möglichkeit. Auf der Suche nach weiteren Erben bin ich auf Sabine Maas’ Tante gestoßen. Vielleicht hat die ja Fotos von ihrer Nichte. Die Frau heißt Maria Gärtner, eine Tante mütterlicherseits. Sie ist achtundsechzigjahre alt und wohnt in Elten. Macht noch einen ganz fitten Eindruck. Ich habe mich mit ihr verabredet, heute Nachmittag um drei bei ihr zu Hause.«
»Wusste sie von dem Selbstmord ihrer Nichte?«, fragte van Appeldorn.
»Nein, sie ist noch nicht benachrichtigt worden. Was mich nicht weiter wundert. In den Gefängnisunterlagen hat die Maas unter der Rubrik (Angehörige) niemanden eingetragen. Vom Mord an Finkensieper hatte Frau Gärtner in der Zeitung gelesen, aber sie wusste natürlich nicht, dass das Opfer ihr Großneffe war.«
Das Telefon unterbrach Cox. Er nahm den Hörer ab, lauschte, machte eine zustimmende Bemerkung und legte wieder auf. »Radevormwald«, informierte er die anderen. »Sie haben endlich Finkensiepers Eltern in Afrika erreicht. Die wollen den nächsten Flieger nehmen und dann gleich zu uns kommen. Aber es könnte noch eine Weile dauern, weil sie im Augenblick noch irgendwo mitten im Busch sind.«
Van Appeldorn blätterte seine Notizen durch. »Ich habe noch einmal mit Elbers von der Autowerkstatt geredet. Der hatte sich doch an eine Mutter erinnert, die, als er noch klein war, immer beim Schwimmen auf ihn und andere Kinder aufgepasst hat. Zu Protokoll gegeben hat er Folgendes: ›Sie meinen die Melonenfrau? Die war nett und lustig. Hat mit uns auch Plätzchen gebacken und uns gezeigt, wie man Kühe melkt. Stimmt, das Haus, in dem die gewohnt hat, ist später abgerissen worden. Und die hatte ein kleines Baby, fällt mir jetzt wieder ein. Doch, die war lieb, die konnte gut trösten‹.«
»Als ich dann nachgehakt habe, wie weit das Liebsein und das Trösten denn gegangen seien, wurde er ziemlich pampig«, berichtete van Appeldorn. »Schweinereien hätte es keine gegeben. Keiner wäre je auf solche Ideen gekommen.«
»Sagte er die Wahrheit?«, wollte Schnittges wissen.
»Auf mich wirkte er glaubwürdig.« Van Appeldorn nickte. »Als ich ihm klargemacht habe, dass seine Melonenfrau und die Kesseler Kindermörderin wohl ein und dieselbe Person waren, ist er aus allen Wolken gefallen. Er fing regelrecht an zu schlottern.«
»›Gott, jetzt verstehe ich auch, wieso meine Mutter gekreischt hat: Das hättest du sein können!), hatte Elbers gesagt. ›Als der Mord passierte, war ich schon zwölf und hing nicht mehr mit den Kleinen am Baggerloch herum. Aber es war trotzdem der totale Horror. Keiner ist in dem Sommer mehr schwimmen gegangen. Wir haben uns kaum noch aus dem Haus getraut. Für uns lauerten hinter jeder Ecke Mörderinnen.)«
Penny schauderte. »Ich habe gesehen, dass es im Dorf eine Grundschule gibt«, sagte sie dann. »Die muss Sabine Maas doch besucht haben. Vielleicht können uns ihre alten Lehrer mehr über sie erzählen.«
Schnittges erinnerte sich an sein Gespräch mit Lettie.
»Der
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