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Kesseltreiben

Titel: Kesseltreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leenders/Bay/Leenders
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Sabine Maas’ Vermögen erben.
    Wahrscheinlich brachte ihn das so auf.
    Cox nahm die beiden Fotos aus dem Briefumschlag, den Frau Gärtner ihm mitgegeben hatte, und legte sie vor sich auf den Tisch.
    Das erste war wohl im Krankenhaus aufgenommen worden, weißes Bettzeug, ein Nachttisch aus Metall. Eine junge Frau, das Gesicht noch ein bisschen aufgedunsen von der Schwangerschaft, müde von der Geburt, aber selig lächelnd, das verknautschte Baby im Arm.
    Auf dem zweiten Bild dieselbe Frau, langes, braunes Haar, ein klares Gesicht mit großen blauen Augen und einem vollen Mund. Ihr Lächeln war frei und glücklich. Sebastian trug sie in einem gestreiften Tuch vor dem Bauch, man sah nur die nackten Füßchen und einen feuerroten Haarschopf.
    Cox seufzte. In den Augen der Frau konnte er keinen Wahn entdecken, ihr Körper war entspannt, sie schien eine Person zu sein, die in sich selbst ruhte. Was war mit ihr passiert?
     
    Penny Small hatte es nicht eilig, zu Frau Pitz zu kommen. Sie fand es nicht so schlimm, dass sie mit jemandem reden sollte, der gerade seinen Partner verloren hatte, das hatte sie in ihrem Beruf schon öfter tun müssen. Aber es kam ihr grausam vor, eine Mutter zu befragen, die ihr Kind auf so schreckliche Weise verloren hatte – egal, wie lange es her war –, und mit ihren Fragen die Tat wieder heraufzubeschwören.
    Doch es war immerhin möglich, dass Finkensieper denselben Gedankengang gehabt hatte wie sie: Wenn ihm jemand etwas über seine Mutter erzählen konnte, dann wohl ihre früheren Lehrer.
    Pitz’ Haus war niedrig, weiß getüncht und über und über mit Kletterrosen und Geißblatt bewachsen. Durch die Wärme in den letzten Wochen hatten die Pflanzen schon ausgetrieben, im Sommer mussten sie herrlich aussehen. Penny fühlte sich an das Cottage ihrer Eltern in Pershore erinnert.
    Der Weg zur Haustür führte an gepflegten Staudenbeeten vorbei. Hier hatte jemand eindeutig einen grünen Daumen.
    Die Frau, die ihr öffnete, war eine Überraschung: dezent geschminkt, das aschblonde Haar zu einem lockeren Knoten gesteckt, hübsch gekleidet in heller Hose und hellem T-Shirt – und vollkommen gefasst.
    Ohne Zögern bat sie Penny herein und führte sie ins Wohnzimmer.
    »Mein Beileid.«
    »Danke.« Christa Pitz schaute auf ihre Schuhspitzen, sie schien zu überlegen. »Ich will nicht mehr heucheln«, sagte sie und wollte dann auf einmal gar nicht wieder aufhören zu sprechen.
    »Es war keine gute Ehe. Vielleicht am Anfang, aber dann … Seit Kevins Tod bestand sie nur noch auf dem Papier.
    Ich war erst siebzehn, als ich Adolf kennenlernte. Bei einem Tanztee im Café Krause. In Neuss, da bin ich geboren. Adolf war vierundzwanzig, studierte an der PH. Ich fühlte mich so geschmeichelt, dass sich ein richtiger Mann für mich interessierte.
    Er kam hier aus Kessel – seine Eltern hatten einen kleinen Hof in Nergena –, und er wollte unbedingt hierher zurück, als Lehrer an die Dorfschule. Als er die Stelle bekam, hat er um meine Hand angehalten, und innerhalb von acht Wochen war ich verheiratet.
    Und bin hier in Kessel gelandet, im Lehrerhaus, eins neben dem Pfarrer – perfektes Idyll. Und ich war die perfekte Lehrerfrau. Habe die Martinszüge organisiert, Ausflüge, Sommerfeste, Frühlingsfeste, Adventskränze gebunden, Kalender gebastelt. Habe zwei Söhne geboren, im richtigen Abstand.
    Mein Mann war kein besonders netter Mensch. Streng zu den Kindern, streng zu mir, hart gegen sich selbst.
    Ich hätte gern Theater gespielt im ›Tingeltangel‹, ich wollte gegen den Schnellen Brüter protestieren, wollte eine Bürgerinitiative gegen die Auskiesung gründen. Ich war ja noch jung. Aber so etwas kam nicht in Frage.
    Und dann starb Kevin. Ich wusste, ich sollte Adolf verlassen, aber ich war wie gelähmt. Jahrelang. Und wohin hätte ich gehen sollen? Ich hatte keinen Beruf. Gar nichts.«
    Plötzlich hatte sie Tränen in den Augen.
    »Wissen Sie, was das Schlimmste war? Er hat mich nicht trauern lassen. Er hat mich nie um mein Kind trauern lassen. Ich musste den Handarbeitsunterricht übernehmen, den Religionsunterricht, Singen, Basteln, Turnen. Und ich habe es gemacht.«
    Ihre Stimme wurde wieder fester.
    »Aber jetzt darf ich endlich trauern, und Sie können sich nicht vorstellen, was das für eine Erleichterung ist.«
    Penny hatte einen Kloß im Hals und musste sich räuspern, bevor sie ihre Frage stellen konnte, aber Christa Pitz sprach schon wieder. »Man hat mir schon alles erzählt. Dass

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