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Kesseltreiben

Titel: Kesseltreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leenders/Bay/Leenders
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Sabine war eigentlich immer ein ordentliches Mädchen. Aber dann sind beide Eltern am selben Tag umgekommen. Und da muss sie den Knacks gekriegt haben, sie ist läufig geworden.«
    Ackermann blieb die Spucke weg.
    Goossens zuckte die Achseln. »Nun ja, so sagt man doch. Von einem Tag auf den anderen hat sie sich mit Kerlen rumgetrieben, egal wer, jeder kam ihr zwischen die Beine. Und dann hat sie sich alles mögliche Volk auf den Hof geholt, Kommune schimpften die sich. Bei uns im Dorf haben wir früher nie die Türen abgeschlossen, aber das war dann vorbei – asoziales Gesindel! Und wir hatten ständig die Polizei hier, Razzia, du weißt schon. Sabine war nämlich auf einmal gegen Kernkraft, dabei wusste die bestimmt noch nicht einmal, wie man das schreibt: Anti-AKW-Bewegung. Auf alle Fälle saß die Keimzelle von diesen Randalierern bei der in der Kommune.«
    »Verstanden«, meinte Ackermann ein wenig zu lässig.
    »Un’ wat kannste mir sons’ noch von der Maas erzählen?«
    »Sonst noch?« Goossens schnaubte herablassend. »Dass sie sich dann auch noch ein Kind hat andrehen lassen, habt ihr ja schon selbst herausgekriegt.«
    »Von wem?«
    »Woher soll ich das wissen? Von einem dieser Gammler wahrscheinlich.«
    »Komisch, ich hätt’ gedacht, dat du früher über alles im Dorf Bescheid gewusst has’.«
    »Darüber jedenfalls nicht. Na ja, als das Kind da war, hat sie sich wohl keine Kerle mehr ins Bett geholt, stattdessen wurde sie auf einmal ganz verrückt auf Blagen. Erst haben wir uns nichts dabei gedacht, aber heute möchte ich nicht wissen, was die mit unseren Jungen alles angestellt hat. Und dann ist sie plötzlich vollkommen durchgedreht und hat den Kevin totgemacht. Vielleicht hätten wir es kommen sehen müssen, aber hinterher ist man immer schlauer.«
    »Wat is’ da genau passiert?«
    »Das weiß doch wohl jeder am Niederrhein. Die hat dem Kleinen eine Plastiktüte über den Kopf gezogen und ihm die Luft abgeschnürt. Vielleicht wollte sie sein Gesicht dabei nicht sehen. Es war bestialisch. Und ich weiß, wovon ich spreche. Ich habe Kevin schließlich gesehen, ich war ja dabei, als er gefunden wurde.« Ein Schatten huschte über sein Gesicht. »Der ist übrigens letzte Nacht gestorben.«
    »Wer?«
    »Kevins Vater, Adolf Pitz. Herzinfarkt. Schlimm für die Frau.«
    »Ja, schlimm. Aber sag mal, Kurt, als die Sabine ihr Kind gekriegt hat, gab et da die Kommune noch?«
    »Nein, nein, diese Typen sind alle so nach und nach wieder verschwunden. Bestimmt schon ein, zwei Jahre bevor das Kind kam.«
    »Wat waren dat für Leut’? Kennst du Namen?«
    »Wie sollte ich, von denen war natürlich keiner hier gemeldet. Und sie haben sich, Gott sei Dank, vom Dorf meist ferngehalten.«
    Goossens schüttelte lange den Kopf. »Was hat der Sebastian nur hier gewollt? Und warum hat er keinem gesagt, wer er in Wirklichkeit ist?«
    »Gute Frage, aber dat kriegen wir noch. Wat ganz anderes: Warum hast du uns eigentlich nich’ gesagt, dat du derjenige bis’, der Grund an die KGG verkaufen will?«
    »Ich habe dir doch erzählt, wie heikel das mit dem Kies geworden ist.«
    »Hab ich noch genau im Ohr, Kurt. Du has’ gesagt, du wüsstest nich’, mit welchen Bauern Finkensieper verhandelt hat.«
    »Das wusste ich auch nicht, bei mir ist er ja nicht gewesen.«
    Ackermann sagte gar nichts.
    Goossens wurde zornig. »Willst du mir etwa unterstellen, dass ich lüge?«
    »Ts, immer noch der alte Hitzkopp. Ich unterstell’ keinem gar nix.«
     
    Ackermann blieb erst einmal im Auto sitzen und drehte sich eine Zigarette.
    Die erste große Demo gegen den Schnellen Brüter in Kalkar Ende September 1977. Da war er selbst noch auf der Polizeischule gewesen. Gegen Atomkraft, keine Frage, aber auf die Demo hatte er sich nicht getraut, hatte sich nicht mit Kollegen prügeln wollen, es hatte ja im Vorfeld schwer nach Randale gerochen.
    1977 – der »Deutsche Herbst«, die RAF; am 5. September hatten sie Schleyer entführt, um Baader, Ensslin und andere Terroristen der ersten Generation aus dem Knast freizupressen. Was schiefgegangen war. Der Staat, das ganze Volk hatte am Rad gedreht. Man hatte jede Wohngemeinschaft auseinandergenommen und war dabei nicht zimperlich vorgegangen. Und er hatte sich geschämt. Jeder, der irgendetwas von der RAF verstand, hatte gewusst, dass die sogenannten Kommunen der letzte Ort waren, an dem sich die Terroristen verstecken würden. Diese ganzen Razzien waren nichts als Augenwischerei gewesen, sollten das

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