Kesseltreiben
einmal bei ihr gewesen, als das Kind so um die zwei war. Mein Mann und ich arbeiteten damals beide in Köln und standen beruflich unter einem enormen Druck. Wir dachten wohl, eine Woche bei Sabine auf dem Land würde uns guttun, aber es war unerträglich. Nicht nur, dass Sabine und der Kleine aneinanderklebten wie siamesische Zwillinge, sie hatte auch Tag und Nacht sämtliche anderen Kleinkinder aus dem Dorf bei sich versammelt. Aber für sie war das anscheinend das Richtige. Man merkte, wie viel Spaß ihr das machte. Ich weiß noch, dass ich gesagt habe, sie solle sich zur Erzieherin ausbilden lassen, dann würde sie wenigstens Geld dafür bekommen. Aber Sabine hat darüber nur gelacht. ›Mir geht’s doch gut‹, sagte sie immer. Ich konnte es manchmal schon nicht mehr hören. Nicht, dass Sie mich falsch verstehen, ich mochte sie gern. Nur, na ja, sie machte ihr Ding, ich machte meines. Das war ganz in Ordnung.«
»Von dem Mord habe ich aus der Zeitung erfahren. Ich war völlig geschockt.«
»Nein, ich habe nicht versucht, zu ihr Kontakt aufzunehmen. Ich weiß nicht, ob Sie eine Vorstellung von unserem Beruf haben. Als Sabine ins Gefängnis kam, arbeitete Stefan in London, und ich machte eine Zusatzausbildung zur Patissière in Zürich. Sabine und ihre heile Welt waren Lichtjahre entfernt.«
»So heil ist ihre Welt wohl doch nicht gewesen«, warf van Appeldorn ein.
Karen Möllemann schaute ihn betreten an. »Das stimmt wohl. Verstanden habe ich es nie. Sabine war lieb, vielleicht ein bisschen weltfremd manchmal.« Sie lachte kurz auf. »Obwohl sie doch tatsächlich die Anti-AKW-Bewegung mitbegründet hat. Aber da war sie wohl eher williges Werkzeug der lieben Renate, unserer SoWi-Lehrerin. Sabine hat den Leuten ihren Hof als Zentrale zur Verfügung gestellt und uns damit tatsächlich eine Polizeirazzia eingehandelt vor der großen Demo 77 in Kalkar. Und irgendwie hat sie sogar alle aus der WG, selbst die ständig Bekifften, dazu gebracht, an der Demo teilzunehmen. Sie hatte für alle Räder besorgt und geheime Zufahrtswege ausgearbeitet. Das hatte ein bisschen was von ›Räuber und Gendarm‹. Echt süß.«
Wieder unterbrach van Appeldorn sie: »Echt süß, ein Schaf, weltfremd, lieb – so beschreiben Sie Sabine. Wie geht das zusammen mit der Tatsache, dass sie auf brutale Weise ein kleines Kind tötet?«
Karen Möllemann rieb sich die Arme. »Ich weiß es nicht. Ich sage ja, ich habe es nie verstanden. Bis heute nicht. Es tut mir so leid. Sie war jünger als ich, und jetzt ist sie tot.«
»Vielleicht haben Sie es in der Zeitung gelesen: Am Samstag ist in Kessel ein junger Mann erschossen worden.«
»Ja, davon habe ich gehört. Schrecklich! Und ausgerechnet hier bei uns, wo die Welt noch in Ordnung ist.«
»Der Tote war Sabines Sohn Sebastian.«
Siebzehn
Cox hatte über Grundbucheintragungen und Katasterauszügen gesessen und schaute sich gerade auf einer alten Karte das Grundstück an, das zum Maashof gehört hatte, als Penny anrief.
»Ich bin noch bei der KGG. Sie haben mir alle Kaufverträge mit Grundstückseignern in Kessel aus den Jahren 84 bis 89 vorgelegt. Der Vertrag mit Sabine Maas ist koscher. Man hat ihr sogar einen sehr guten Preis gezahlt. Ich habe dir den Vertrag gerade zugemailt, weiß aber nicht, ob es geklappt hat. Schaust du mal nach?«
»Doch, ist angekommen.« Cox klickte auf ›Drucken‹.
»Dann kannst du dich ja jetzt auf den Rückweg machen, Sweetie, ich hab schon Sehnsucht.«
»Bis gleich«, antwortete sie nur – offenbar war sie nicht allein.
Er überflog das Vertragswerk. Karl-Heinz Boskamp, ein Anwalt aus Goch, hatte für Sabine Maas die Verhandlungen geführt. Penny hatte recht. Das Katasteramt hatte ihm den in jenen Jahren üblichen Quadratmeterpreis genannt, und der von Boskamp mit der KGG ausgehandelte lag ein wenig höher.
Wegen der KGG war Finkensieper jedenfalls nicht in Kessel gewesen.
Bei der Staatsanwaltschaft hatte Toppe erfahren, dass auch Sebastian Finkensieper sich für die Akte ›Der Staat gegen Sabine Maas‹ interessiert hatte. Am vorletzten Montag, am Morgen des 16. April, war er dort gewesen, um sich eine Kopie der Prozessakte zu ziehen.
Am frühen Montagmorgen … dann war das vielleicht das Erste gewesen, was er unternommen hatte, nachdem er bei van Beek in Kessel eingezogen war.
Toppe lief die Stufen hinauf.
Der Diensthabende auf der Wache feixte. »Im Büro wartet eine Überraschung auf Sie.«
Es war Astrid, die gerade den Tisch an seiner
Weitere Kostenlose Bücher