Kesseltreiben
der war kalt wie eine Hundeschnauze. Aber warum sollte er lügen?
Die Bilder von der Sabine … Eine nette junge Frau, völlig normal. Obwohl, wer konnte das sagen? Damals, als das Museum Kurhaus eröffnet worden war, hatte er dort eine Installation gesehen. In einem Raum hatten lauter Fotoporträts von Mördern und ihren Opfern gehangen, ohne Bildunterschriften. Und es war ihm unmöglich gewesen zu sagen, wer Täter und wer Opfer gewesen war.
Hoppla, jetzt hätte er doch beinahe die Abzweigung verpasst! Da war die Schule auch schon, ganz schön groß. Er stellte seinen Wagen auf dem Lehrerparkplatz ab und machte sich auf die Suche nach dem Sekretariat.
Die Frau, die dort arbeitete, machte einen pfiffigen Eindruck. »Da brauche ich gar nicht im Archiv nachzuschauen, an Sabine Maas kann ich mich gut erinnern. Ich arbeite nämlich schon seit über dreißig Jahren hier. Und der Mord an dem Kind ist ja durch die ganze Presse gegangen. Sabine M. hieß es da nur, aber auf den Fotos hat man sie natürlich erkannt. Eine Lehrerin von ihr ist immer noch hier an der Schule, Frau Bauer. Augenblick mal.«
Sie ging zu einer riesigen Wandtafel mit Hunderten von verschiedenfarbigen Schildchen, dem Stundenplan, wie es aussah. Dann schaute sie auf die Uhr. »Ihr Unterricht hat gerade erst angefangen. Sie haben wohl nicht die Zeit, bis zur Pause zu warten?«
»Leider nich’.«
»Frau Bauer ist in einer Klasse drüben im Westflügel, aber das finden Sie nie. Ich werde sie auf ihrem Handy anrufen.«
Ackermann wartete auf dem Gang. Es dauerte nur ein paar Minuten, dann kam eine ältere Frau auf ihn zugelaufen: hüftlanges graues Haar, rote Pumphosen, weites graues T-Shirt, Gesundheitssandalen.
»Mist«, dachte Ackermann, »eine Ökoschlunze.« Mit denen tat er sich schwer, meistens konnten sie ihn nicht leiden.
»Sie hat sich umgebracht? Das ist ja schrecklich.«
Bestürzt legte Frau Bauer die Hände an die Wangen, fasste sich aber schnell. »Lassen Sie uns nach draußen gehen. Ich brauche frische Luft.« Sie führte ihn in einen begrünten Innenhof mit einem Springbrunnen und einer Bank.
»Wenn es doch ein Freitod war, wieso interessiert sich dann die Mordkommission dafür?«
»Weil der Sohn von Sabine Maas letzten Samstag in Kessel erschossen worden is’.«
Renate Bauer blickte fassungslos. »Ich verstehe überhaupt nichts mehr.«
»Macht nix«, meinte Ackermann, was die Lehrerin nicht zu erfreuen schien. »Erzählen Sie mir doch einfach ma’ wat von Sabine Maas. Wat Ihnen so innen Sinn kommt.«
Diese Aufforderung schien sie zu befremden, aber schließlich begann sie doch zu reden.
»Sie müssen wissen, dass Sabine nicht einfach eine Schülerin für mich war. Ich würde sagen, sie war eher eine Freundin. Wir haben uns gemeinsam politisch engagiert, gegen Kernkraft, gehörten 1977 beide zu den Gründungsmitgliedern der Bürgerinitiative ›Stop Kalkar‹. Bis 79 hatten wir sogar unsere Zentrale auf Sabines Hof.«
»Dann war die Sabine also ‘n politischer Mensch?«
Sie schaute überrascht. »Nein, überhaupt nicht. Das Mädchen war eher einfach gestrickt. Wissen Sie, ihre Eltern waren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen, als sie gerade einmal achtzehn war. Ich war damals quasi die Einzige, die sich um sie gekümmert hat. Und ich denke, ihr politisches Engagement hat ihr über die Tragödie hinweggeholfen. Deshalb habe ich sie darin bestärkt.«
»Hm. Wir haben gehört, dat die Sabine auf dem Hof ‘ne WG gehabt hat.«
»Ja, das stimmt, so zwei, drei Jahre lang. Das Kind musste sich schließlich die Hörner abstoßen, wie Sie und ich auch.«
»Wissen Sie, wer bei ihr gewohnt hat?«
»Ich weiß, wer am Anfang dort eingezogen ist«, entgegnete sie kühl. »Die waren alle in Sabines Klasse, alles meine Schüler. Karen Wimmers, Stefan Möllemann, Monika Groß …«
»Stopp, stopp«, rief Ackermann, »so schnell kann ich nich’ schreiben.«
Sie wiederholte die Namen und fuhr fort: »Volker Kluge und Sabines Freund, Kai Stepanski. Wer später noch alles dort gewohnt hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Das wechselte ständig. Sabine war naiv, leicht auszunutzen. Ich habe ihr schließlich geraten, die ganze Bande rauszuwerfen, und sie hat auf mich gehört.«
»Un’ wann war dat?«
Die Lehrerin überlegte kurz. »Das war nach der Pfingstdemo in Kalkar, also im Frühsommer 79. Karen und Stefan haben noch ein paar Wochen länger dort gewohnt, sind dann aber auch ausgezogen.«
»Un’ wat war mit Sabines
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