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Kesseltreiben

Titel: Kesseltreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leenders/Bay/Leenders
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neuen Sitzecke deckte.
    »Pizza!« Sie lächelte. »Ich habe denen eine Warmhaltebox abluchsen können.«
    Er warf die Akte auf den Schreibtisch und umarmte sie. Sie wurde ganz weich, küsste ihn lange.
    »Dir geht es besser«, stellte er fest, und ihm wurde ganz mulmig vor Erleichterung.
    »Ja, mir geht es viel besser.« Endlich lächelten auch ihre Augen wieder mit.
    »Was ist passiert?«
    »Ich weiß es eigentlich gar nicht. Ich saß da in der Firma über meinen Zahlenkolonnen und dachte auf einmal: Ich habe Hunger, und ich will meinen Mann sehen.«
    Teller, Besteck, Gläser und Servietten hatte sie in der Pizzeria ausgeliehen und eine Flasche Rotwein gekauft.
    »Komm, ich habe wirklich Hunger.«
    Er freute sich. Sie hatte so viel abgenommen in den letzten Monaten, im Essen nur herumgestochert, obwohl er sich alle Mühe gegeben hatte. Wann immer es ging, hatte er das Kochen übernommen und alle ihre Lieblingsgerichte auf den Tisch gebracht.
    Sie stürzte sich förmlich auf ihre Pizza und war schon fertig, als Toppe seine gerade einmal zur Hälfte geschafft hatte. Dann goss sie sich ein zweites Glas Wein ein.
    »Weißt du, als ich vorhin ankam, dachte ich, mich würde das heulende Elend überfallen. Aber das ist nicht passiert. Ich vermisse den Laden hier überhaupt nicht. Komisch, oder? Die Arbeit in der Firma fängt an, mir Spaß zu machen, jetzt, wo ich langsam den Durchblick bekomme. Und unsere Tochter fühlt sich im Hort pudelwohl.«
    Das Erste, was sie eingeführt hatte, als sie die Fabrik übernehmen musste, war der Hort für die Kinder der Angestellten.
    »Das Einzige, was ich wirklich vermisse, ist, dass wir beide nicht mehr den ganzen Tag zusammen sind.«
    Sie nahm ihm das Besteck aus der Hand, küsste ihn, ging dann zur Tür und schloss ab.
    »Also heißt es ab jetzt: Nutze den Augenblick.«
     
    Zu den Annehmlichkeiten seiner neuen Position gehörte zweifelsohne das eigene Bad.
    Toppe trocknete sich ab und schlüpfte in frische Kleider. Auch das bequeme Sofa hatte durchaus etwas für sich. Er musste grinsen. »Ist dir eigentlich klar, dass du es hier mit einer Multimillionärin treibst?«, hatte sie gefragt. Daran hatte er tatsächlich noch keinen Gedanken verschwendet, an ihrem Alltag hatte das bisher nichts geändert.
    Er brühte sich einen Espresso auf, setzte sich an den Schreibtisch und nahm sich die Prozessakte vor.
    Die Tatortfotos.
    Das tote Kind, bekleidet mit einer Badehose, eine weiße Plastiktüte über dem Kopf, am Hals zusammengebunden mit einer Art Angelschnur, unordentlich umwickelt, nicht verknotet. Gleich neben der linken Hand, halb im Wasser, ein geringeltes Achselhemdchen und ein Badeschuh.
    Ein Foto von im Gras verstreuten Gegenständen: eine Rolle Nylonschnur, eine Zigarrenkiste voll bunter Perlen und Federn, ein Kulturbeutel mit Theaterschminke, eine Plastikdose mit Stücken von der Schale einer Wassermelone, zwei leere Mineralwasserflaschen.
    Fußspuren im nassen Sand, alle mit den üblichen Spurentäfelchen markiert, ebenso verschiedene Schuhspuren.
    Ein Foto von einem umgekippten Dreirad.
    Der Bericht des Pathologen: Tod durch Ersticken. Keine äußeren und inneren Verletzungen, auch keine Abwehrverletzungen, keine Anzeichen von Gewaltanwendung. Unter den Fingernägeln Sand.
    Das Protokoll zur polizeilichen Vernehmung von Sabine Maas am späten Abend des 12. August 1983: Sabine hatte mit ihrem Sohn Sebastian im Garten gespielt, als gegen 13 Uhr 30 ein paar Kinder aus dem Dorf zu Besuch gekommen waren. Mit ihnen und ihrem Sohn war sie dann zum Baggersee gegangen, wo sie gemeinsam geschwommen waren und gespielt hatten.
    Gegen 17 Uhr war Sabine Maas in den Ort zurückgekehrt und hatte die Kinder nach Hause geschickt. Sie selbst hatte dann Brot gebacken.
    Etwa eine halbe Stunde später waren einige Kinder aus dem Dorf wieder bei ihr aufgetaucht, diesmal mit ihren Fahrrädern, und Sabine Maas hatte ihren Sohn mit seinem Dreirad hinausgeschickt, damit er noch ein wenig mit den anderen Kindern spielen konnte.
    Gleichzeitig hatte sie festgestellt, dass ihre Kuh sich losgerissen hatte und im Morast feststeckte. Es hatte etwa zwanzig bis dreißig Minuten gedauert, bis sie die Kuh in den Stall zurückgebracht hatte.
    Also war es wohl gegen 18 Uhr gewesen, als sie ihren Sohn den Weg aus Richtung Baggerloch entlangkommen sah, ohne Dreirad, völlig verstört und sprachlos.
    Sie hatte den Jungen gebadet, ihm etwas zu essen gegeben und sich dann mit ihm ins Bett gelegt, weil er ohne sie nicht

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