Ketaria - Die Sehnsucht des Daemons
ich komme von weit her. Aber ich verstehe dich gut, denn er“, sie wies auf Sandro, „ist mein Geliebter.“ Eigentlich eine Lüge, aber der Anblick des blutüberströmten Sandros hatte ihr schlagartig klargemacht, wie wichtig er inzwischen für sie war, sie würde es nicht ertragen, ihn hier sterben zu sehen. Der Geist sah sie ungläubig an, sie fuhr fort: „Ich kann gar nicht deine Melody sein, denn du spukst schon seit hundert Jahren hier, sie dürfte nicht mehr am Leben sein.“ Ihr Herz schlug hart gegen ihre Rippen, entweder das klappte, oder sie würden beide hier sterben. Nackte Verzweiflung trat in das Gesicht des Geistes, „hundert Jahre? Das ist doch nicht möglich, sie hatte doch versprochen, dass sie zu mir kommt. Warum ist sie nicht gekommen?“ „Wie heißt du denn?“, fragte Julia sanft, trotz der Gefahr konnte sie nicht anders als Mitleid für die gequälte Seele zu empfinden, so elend wie er jetzt wirkte. Sein Blick wurde wieder etwas klarer, er sagte traurig: „Du siehst ihr so ähnlich, ich dachte wirklich du wärst es. Ich heiße Elias.“ „Elias, was ist denn genau passiert?“ „Wir haben uns geliebt, aber ihre Eltern verboten unsere Verbindung, also beschlossen wir gemeinsam wegzulaufen. Wir verabredeten uns hier beim Tempel, sie war sich nicht sicher, wann genau sie es schaffen würde, zu mir zu kommen, ich versprach ihr zu warten, aber sie ist nie gekommen.“ Sandro hatte sich inzwischen wenigstens auf die Ellbogen hochgequält und warf krächzend ein: „Deshalb spukt er hier, wegen des Versprechens, er kann nicht weg, solange es nicht erfüllt ist.“ Julia umrundete den Geist vorsichtig, ohne ihn aus den Augen zu lassen, um zu Sandro zu gelangen. Zum Glück hinderte die Spukgestalt sie nicht. Sie kniete neben ihm nieder und sah entsetzt, wie viel Blut tatsächlich in seinem Gewand war, sie mussten ihn versorgen, ehe es zu spät war. Sie sah zu dem Geist hoch und fragte ernst: „Da sie vermutlich nicht mehr lebt, was würde dich denn sonst von deinem Versprechen entbinden?“ „Nur ihre Anwesenheit kann das, im Leben oder im Tod.“ Bei der Vorstellung, die sich in ihren Kopf drängte, musste Julia würgen, sie schluckte krampfhaft und krächzte heiser: „Also würden auch ihre Überreste ausreichen?“ „Wenn ihr sie zu mir bringt, dann könnte ich von hier weggehen.“ Sandro meldete sich zu Wort: „Wenn du uns gehen lässt, dann suchen wir sie für dich.“ Der Blick des Gespensts wurde misstrauisch, „warum solltet ihr das tun?“ „Nun zufällig brauchen wir etwas aus diesem Gemäuer, jemand muss es vor längerer Zeit hier versteckt haben.“ Das Gesicht des Geistes hellte sich auf, „vor einigen Jahren kam ein seltsamer Mann hierher, ich konnte ihm nichts anhaben, da er durch einen magischen Schild geschützt war. Er hat etwas zwischen den Mauern versteckt. Wenn ihr mir helft, dann werde ich es euch geben.“
Nachdem der Geist ihnen das Heimatdorf seiner vermissten Geliebten genannt hatte, hatte Julia Sandro auf sein Pferd geholfen, und sie hatten sich auf den Weg gemacht. Sie ritten schweigend, Sandro wohl, weil es ihm furchtbar schlecht ging, und sie selbst, weil ihre Gedanken rasten. Sie hatte sich die ganze Zeit gegen Sandro und ihre Gefühle für ihn gewehrt, aber zu sehen, wie er fast getötet worden wäre, und nun seine offensichtlichen Schmerzen mit ansehen zu müssen, versetzte ihr einen Stich mitten ins Herz. Sie musste vor sich selbst zugeben, dass sie sich längst in ihn verliebt hatte.
Als er aufgestiegen war, hatte er seine Mühe nicht spielen müssen, die Schmerzen und der Blutverlust hatten ihn geschwächt. Aber nun, da die Wunden bereits zu heilen begannen, musste er so tun, als ob er sich nach wie vor nur mühsam auf dem Pferd halten konnte, um Julia nicht misstrauisch zu machen. Sie hatte vor Ort seine Wunden notdürftig mit einigen Streifen aus seinem Umhang verbunden, jetzt brauchte er nur noch eine Idee wie er sie im Dorf von weiteren medizinischen Maßnahmen abhalten konnte. Er spähte verstohlen zu ihr und bemerkte, dass sie sehr bedrückt wirkte. Schlechtes Gewissen stieg in ihm auf, sie machte sich sicher Sorgen um ihn, er versuchte sie aufzumuntern: „Mach nicht so ein Gesicht, es geht mir schon etwas besser, es hat wilder ausgesehen, als es ist.“ „Das bezweifle ich, aber das ist es gar nicht allein. Vielleicht ist es dumm, weil er doch so viel Unheil über die Menschen gebracht hat, seit er hier spukt, aber er tut mir leid.“
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