Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe
prominenter besetzt sein – eine wahrhaft historische Begegnung. Im Gebäude der Physikalischen Gesellschaft treffen erstmals Max Planck als Begründer der Quantentheorie, Albert Einstein als eigenwilliger Interpret der Planck’schen Vorgaben und schließlich der Gast aus Kopenhagen zusammen. Er hat in der Mathematik der Elektronensprünge die Planck’sche Konstante und die unverkennbar portionierten Energiequanten entdeckt. Viel Zeit gönnt sich die Quanten-Dreifaltigkeit nicht für Höflichkeiten und Plaudereien. Man steigt sofort in die Diskussion ein, die sich bis zur Erschöpfung aller Beteiligten über mehrere Tage hinzieht. Der frisch gekürte Nobelpreisträger Planck mit dem fast kahlen Kopf und den freundlichen Augen hinter der randlosen Brille verkörpert in konservativer Kleidung und Haltung den deutschen Professor schlechthin. Auch der einundvierzigjährige Einstein zwängt sich bei solchen Anlässen in den schwarzen Gehrock. Aber selbst wenn er sich mit Krawatte und steifem Kragen jede Mühe gibt, einen offiziellen Eindruck zu machen, wirkt er auf charmante Art salopp mit seinem inzwischen weltberühmten elektrisierten Haarschopf.
Beim Mittwochs-Kolloquium betrachtet Einstein seine Lichtquanten zwar als physikalische Wirklichkeit und gesteht damit dem Zufall und der Unvorhersagbarkeit einen Einfluss auf physikalische Prozesse zu. Andererseits fällt es ihm schwer, etwas so offensichtlich Messbares wie die Spontaneität der Quantensprünge im Bohr-Sommerfeld’schen Atommodell zu akzeptieren. Und so richtet er seinen ganzen Scharfsinn auf andere Erklärungsmodelle. Er bemüht sich, eine Verbindung zwischen diesen Energie versprühenden Übergängen der Elektronen auf eine benachbarte Umlaufbahn und den Gesetzen des radioaktiven Zerfalls herzustellen. Seien erst alle atomaren Gesetze entdeckt, müsse auch – davon ist Einstein überzeugt – jeder Vorgang im Atom vorhersagbar werden. Niels Bohr hingegen hat mit seinen gewohnt raumgreifenden Formulierungen und flüsterleiser Stimme darauf beharrt, eine genaue Bestimmung der Quantensprünge sei grundsätzlich nicht möglich. Obendrein könne die klassische Physik auch die Komplexität der Spektrallinien nicht befriedigend erklären. Eine Woche später schreibt Einstein seinem Freund, dem österreichischen Physiker Paul Ehrenfest: «Bohr war hier, und ich bin ebenso verliebt in ihn wie Du. Er ist ein höchst feinfühliges Kind und geht in einer Art Hypnose in dieser Welt herum.» Offensichtlich hat Einstein sich selbst in Bohr wiedererkannt, denn mit denselben Worten hätte wohl jeder Freund Einsteins ihn selbst treffend charakterisieren können.
Während Bohr und Einstein in Berlin Freundschaft schließen, bereiten sich in München die Oberprimaner der städtischen Gymnasien auf ihr Abitur vor. Während des Krieges waren die Heranwachsenden im paramilitärischen Wehrkraftverein des Max-Gymnasiums zweimal wöchentlich militärisch gedrillt worden. Die Lust der Jugendlichen am Wandern und ihre Liebe zu Natur und Heimat lassen sich leicht politisch missbrauchen. Sie lernen, diszipliniert zu marschieren, das Gelände zu erkunden und in freier Natur zu übernachten. Die Kriegspflicht beginnt mit dem vollendeten 17. Lebensjahr. Einer der jungen Männer am Max-Gymnasium, dem dieses Schicksal drohte, heißt Werner Heisenberg, doch einen Monat vor seinem 17. Geburtstag ist der Krieg vorbei. Ein Vierteljahr später kommt Werners Wehrkrafteinheit doch noch zu einem kriegerischen Einsatz. Im April 1919 herrschen Aufruhr und Chaos in München. Es ist die Zeit des «roten Terrors» der beiden kurzlebigen sozialistischen Räterepubliken, auf die der «weiße Terror» der Befreiungstruppen folgt. Auf dem Höhepunkt der Kämpfe mit Straßenschlachten, Geiselerschießungen und Vergeltungsmassakern werden die Münchener Primaner unter das Kommando erfahrener Militärs gestellt. Werner Heisenberg und seine Kameraden leisten Lotsen- und Botendienste, schleppen Munitionskisten, schlüpfen durch die Stellungen der «Roten Armee» und müssen mit geladenem Gewehr die zu Verhör und Exekution geführten kommunistischen Gefangenen bewachen. Noch bis in den Juni hinein bleibt der Unterprimaner in der grünen Uniform seines Wehrkraftvereins bei einem Kavalleriekommando stationiert, das im «Georgianum» logiert, einem katholischen Priesterseminar in der Ludwigstraße.
In den dienstfreien frühen Morgenstunden dieser Junitage 1919 macht er es sich zur Gewohnheit, mit einem
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