Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Titel: Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Mania
Vom Netzwerk:
Vorstellungen und Otto Hahns handwerkliches Geschick eine einzigartige Anordnung von Apparaten hervorgebracht, die hundertmal empfindlicher sein soll als die herkömmlichen Messmethoden. Dreißig Jahre zuvor hatte Hahn bei Ramsay und Rutherford gelernt, aus alten Ölkännchen und Konservendosen primitive, aber brauchbare Messgeräte zu bauen. Und so hat er auch jetzt seine Geigerzähler selbst gebastelt. Sie sind in aufklappbaren Bleikistchen verborgen und an Verstärker mit silbern glänzenden Vakuumröhren angeschlossen, die wiederum mit elektrischen Zählwerken verbunden sind. Ein Gewirr von Drähten führt zu einer Reihe von 90-Volt-Batterien in Form und Größe von Zigarrenkisten. Sie sind auf einem Einlegeboden unter der Tischplatte verstaut.
    Während am 10. Dezember 1938 der Physik-Nobelpreis an Enrico Fermi für seine bahnbrechenden Experimente mit künstlicher Radioaktivität und für die Entdeckung langsamer Neutronen verliehen wird, steuert das Duo in Dahlem – noch ohne es zu ahnen – auf ein Ereignis zu, das nicht nur vier Jahre Transuranforschung ad absurdum führen, sondern die Kernphysik von Grund auf erschüttern wird. Mitte Dezember stehen sie vor der verblüffenden Erkenntnis, dass sich ihr nach der Uranbestrahlung gewonnenes künstliches Radium chemisch ganz und gar nicht wie Radium verhält. Denn es reichert sich bei der ersten Abtrennung nicht gleich in so eindeutiger Menge an, wie sie es von diesem Element eigentlich gewohnt sind. Am Samstag, dem 17. Dezember 1938, hat Hahn einen Termin beim Finanzamt, wo er wieder einmal versucht, die Bearbeitung des Pensionsantrags für Lise «Sarah» Meitner zu beschleunigen. Noch glaubt er, mit einem kontrollierten Wutanfall dem Sachbearbeiter Beine gemacht zu haben. Doch die Verschleppungstaktik der Behörde zielt langfristig auf die restlose Aneignung jüdischen Eigentums und auf die Verweigerung der Pensionsansprüche geflohener Juden.
    Am selben Abend noch beginnen Hahn und Straßmann mit dem entscheidenden Experiment, die Umwandlung von bestrahltem Uran in künstliches Radium nachzuweisen. Auf dem Tisch im Bestrahlungszimmer liegen 15 Gramm reines Uran in einem Bleischiffchen in Schussweite der Neutronenquelle. Nach 12 Stunden Bestrahlung hat Fritz Straßmann das vermeintliche Radium von der Uranprobe abgetrennt. Es liegt jetzt in einer Mischung mit Barium vor. Jedoch lässt es sich bei drei aufeinanderfolgenden Trennversuchen wieder nicht isolieren und bleibt gleichmäßig im Barium verteilt. Das heißt, ihr vermeintliches Radium verhält sich wie Barium. Als Gegenprobe fügen sie nun natürliches Radium hinzu, um festzustellen, ob es genauso seltsam reagiert wie sein künstliches Pendant. Aber es reichert sich erwartungsgemäß sofort beim ersten Trennungsversuch an. Als Chemiker müssen Hahn und Straßmann aus diesen Ergebnissen den Schluss ziehen, nicht etwa Radium, sondern Barium selbst gefunden zu haben. Theoretisch möglich wäre es ja, denn das Trennmittel Barium kann sämtliche Erdalkalimetalle aus einer Lösung herausziehen. Und zu denen gehört natürlich auch das Barium selbst. Am Abend dieses 17. Dezember 1938 sprechen die Protokolle, Messkurven und Kontrollversuche eine eindeutige Sprache. Außer Barium kommen keine anderen Elemente in Frage, auch keine «Transurane».
    Wie aber werden die Kernphysiker auf diesen chemischen Befund reagieren? Die einzig denkbare physikalische Erklärung für die Existenz von Barium mit der Kernladungszahl 56 wäre eine Zertrümmerung des Urankerns in mittelgroße Bruchstücke. War Niels Bohr Mitte November schon unglücklich über Hahns These von vier «abgesplitterten» Kernladungen, dann müsste ihn die Differenz von 36 Kernladungen zwischen Uran und Barium eigentlich völlig aus der Fassung bringen. Denn hier kann von einer bloßen Absplitterung keine Rede mehr sein. Am Montag, dem 19. Dezember, schreibt Hahn abends um 11 Uhr im Labor noch einen Brief an Lise Meitner, in dem er ihr den «schrecklichen Schluss» mitteilt, zu dem Straßmann und er am Samstagabend gekommen sind: Das Radium verhält sich wie Barium. «Ich habe mit Straßmann verabredet, dass wir vorerst nur dir dies sagen. Vielleicht kannst Du irgendeine phantastische Erklärung vorschlagen. Wir wissen selbst, dass es [das Uran] eigentlich nicht in Ba[rium] zerplatzen kann …» [Hah 4 :78]. Hier wagt Hahn erstmals das Unvorstellbare auszusprechen: Der Uranatomkern könnte zerplatzt sein.
     
    Am Mittwoch, dem 21. Dezember 1938,

Weitere Kostenlose Bücher