Ketzer
anscheinend für unschuldig genug, um sie mit einer ehrlichen Antwort zu würdigen.
»Beim Smythgate? Ihr müsst die Kirche St. Cross meinen, die in der Tat sehr alt ist. Bei dem Haus müsste es sich um Holywell Manor handeln, ein anderes dieser Größe gibt es in dieser Richtung nicht. Es soll sächsischen Ursprungs sein und wurde einst als Pilgerstätte benutzt, diesem papistischen Brauch wird jedoch heute nicht mehr gehuldigt.«
»Aha. Danke, dass Ihr die Neugier eines Ortsfremden gestillt habt. Holywell Manor ist doch sicher der Landsitz einer lokalen Adelsfamilie?«
Underhill schob die Unterlippe vor.
»Nun gut, die Bewohner zählen schon zum niederen Adel, könnte man sagen, aber sie genießen in der Gesellschaft von Oxford kein besonders hohes Ansehen. Das Haus gehört der Familie Napper – der Vater war einst ein Fellow vom All Saints College, er ist allerdings schon lange tot, und der jüngere Sohn George sitzt in Cheapside im Gefängnis.«
»Tatsächlich? Wegen welchen Vergehens denn?«
Der Rektor runzelte die Stirn. Mein Interesse schien sein Missfallen zu erregen.
»Er hat sich geweigert, den Gottesdienst zu besuchen, glaube ich. Aber jetzt kann ich wirklich nicht länger hier herumstehen und wie ein Waschweib tratschen, ich muss die Abendandacht vorbereiten!« Vor dem Bogengang zu seiner Wohnung drehte er sich noch einmal zu mir um. »Ach, Doktor Bruno? Ich werde Richter Barnes heute Abend in der Kirche sehen, daher hoffe ich, dass wir morgen wissen, wann mit der gerichtlichen Untersuchung des Todes von Doktor Mercer zu rechnen ist. Wir wollen beten, dass sie möglichst bald stattfindet«, fügte er mit einem schmallippigen Lächeln hinzu. »Ich möchte Euch nicht länger als unbedingt nötig von Eurer geplanten Abreise aus Oxford abhalten.«
»Und ich möchte Eure Gastfreundschaft nicht über Gebühr in Anspruch nehmen«, erwiderte ich ebenso kalt. »Richtet Mistress Underhill und Eurer Tochter bitte meine ehrerbietigsten Grüße aus.«
»Gewiss.« Er legte die Fingerspitzen gegeneinander, als erwäge er, noch etwas zu sagen, machte dann indes auf dem Absatz kehrt und verschwand im Schatten des Ganges.
10
Die Glocke rief ebenso wehmütig zum Dinner, wie sie es zur Morgenmesse getan hatte, und riss mich aus meinen Gedanken und dem Studium meiner auf dem Tisch in meiner Kammer verstreuten Notizen. Nach dem Wortwechsel mit dem Rektor war ich zum Christ Church gegangen und hatte dort zu meiner Erleichterung festgestellt, dass ich Sidneys Jagdtrupp tatsächlich verpasst hatte. Nachdem ich ihm eine Nachricht des Inhalts hinterlassen hatte, von dringenderen Angelegenheiten in Anspruch genommen worden zu sein, hatte ich mich in meine Kammer zurückgezogen, mich auf mein Bett gelegt und eine Stunde mit dem Versuch verbracht, die neuen Informationen irgendwie mit den bisherigen in Verbindung zu bringen: Wenn Humphrey Pritchards unvorsichtige Worte und Cobbetts düstere Warnung darauf hindeuteten, dass das Catherine Wheel ein Treffpunkt von Oxfords geheimer katholischer Bruderschaft sei, dann lautete die logische Schlussfolgerung, dass Roger Mercer irgendetwas über diese Gruppe gewusst haben müsste – die mit dem Rad markierten Tage in seinem Almanach könnten für Treffen in dieser Gastwirtschaft stehen. Könnte Mercer geplant haben, sie alle so skrupellos auffliegen zu lassen, wie er gegen seine einstigen Freund Edmund Allen ausgesagt hatte, und war er daher zum Schweigen gebracht worden? Wenn das zuträfe, könnte derjenige, der seine Kammer durchwühlt hatte, nach Beweisen gesucht haben, die Mercer gegen die Gruppe hatte verwenden wollen. Dann war da noch Richard Godwyn, der freundliche,
umgängliche Bibliothekar, der anscheinend heimlich ins Land geschmuggelte verbotene katholische Bücher erworben hatte – aber brächte ihn das auch zwangsläufig mit Rowland Jenkes und dadurch dem Catherine Wheel in Verbindung? Könnte Mercer ihm auf die Schliche gekommen sein?
Fest entschlossen, die Fellows und Studenten beim Essen schärfer als ein Habicht zu beobachten, streifte ich mein Wams über und wollte gerade die Tür öffnen, als mich auf ihrer anderen Seite ein heftiges Klopfen gehörig zusammenschrecken ließ. Ich zog sie vorsichtig einen Spalt breit auf und erblickte das ängstliche Gesicht Sophia Underhills, die furchterfüllt über ihre Schulter spähte.
»Lasst mich herein, Bruno – schnell, bevor mich jemand sieht! Ich muss unbedingt mit Euch sprechen«, stieß sie nach einem
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