Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
Vom Netzwerk:
wenn sie denken, ich handele in Eurem Auftrag.«
    »Ich verstehe. Geht, wohin Ihr wollt, und tut, was Ihr wollt, Doktor Bruno. Von mir wird niemand etwas erfahren. Aber findet heraus, wer für diese Abscheulichkeit – diese Abscheulichkeiten verantwortlich ist«, berichtigte er sich. »Die Universität wird sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten erkenntlich zeigen, vorausgesetzt, ich bin dann noch im Amt, um dafür zu sorgen«, schloss er düster, ehe er die Stufen zu seiner Wohnung emporstieg.

13
    Die Glocke, die die Universitätsangehörigen zum Mittagessen rief, läutete noch lange nachdem die Fellows und Studenten längst in die Hall geströmt waren und übertönte das drängende Geflüster, das von der im Raum herrschenden Spannung zeugte – der Ruhe vor dem Sturm. Draußen trommelte der Regen so heftig gegen die Fenster, dass wir die Stimme heben mussten, um uns unserem Nachbarn verständlich zu machen.
    Ich war unangenehm berührt, als ich feststellte, dass für mich ein Platz an der erhöhten Tafel der rangältesten Fellows reserviert worden war. Ich saß zwischen dem Bibliothekar Richard Godwyn und Slythurst, der sich nicht die Mühe machte zu verbergen, wie sehr ihm meine Anwesenheit im Kreis seiner Kollegen missfiel, und war mir ständig des Umstandes bewusst, dass mein Stuhl mit Sicherheit noch vor kurzer Zeit von einem der beiden toten Männer besetzt gewesen war.
    Die Tafel stand auf einem Podest, sodass ich den Rest der Hall gut überblicken konnte. Es war ein hübscher Raum mit weiß getünchten Wänden, an denen Tapisserien im französischen Stil des letzten Jahrhunderts hingen, die sicherlich einst sehr kostbar gewesen, nun aber vom Alter ausgeblichen waren. Die Hall wurde von einem mächtigen Ofen beherrscht, der sich in der Mitte des Raumes unter einem achteckigen Rauchabzug befand. Darum herum verlief eine Holzbank, die mehreren Personen Platz bot, um sich zu wärmen, und vor den beiden Fensterfronten standen zwei lange Tische, an denen sich die
Undergraduates und jüngeren Fellows auf Bänken drängten; sie schielten oft zu dem Podest hinüber und kommentierten mit gedämpften Stimmen das sorgenvolle Gesicht des Rektors und den zweiten leeren Platz an der Tafel.
    Ein hagerer junger Mann mit ungekämmtem rotem Haar, dessen Gewand ihm mehrere Nummern zu groß war, betrat das Chorpult neben der Tafel und schickte sich mit einer für seine schmächtige Gestalt erstaunlich sonoren Stimme an, das Tischgebet zu sprechen. Ich erkannte in ihm den Jungen wieder, der gestern nach der Frühmesse die Kapelle aufgeräumt hatte. Die Glocke verstummte, sowie er den Mund öffnete.
    »Benedic, Domine, nos et dona tua« , begann er, während der Rektor pflichtgetreu den Kopf senkte und die Hände faltete und die restlichen Fellows seinem Beispiel folgten. Mit gesenkten Lidern beobachtete ich, dass die meisten der Undergraduates noch immer mit einer Mischung aus Neugier und Beklommenheit zu der Tafel hinüberschielten. »Quae de largitate tua sumus sumpturi «, intonierte der Junge, und ich registrierte mit plötzlicher Erleichterung, dass Gabriel Norris zusammen mit ein paar jungen Männern, deren Kleidung sie aus der Masse der Studenten hervorhob wie ihn die seine, am Kopfende eines Tisches saß. Ich hatte Slythursts Behauptung, die Mordwerkzeuge würden auf Norris als Täter hindeuten, ohnehin nicht ernst genommen – mir erschien der Gebrauch des Bogens eher als ein Zeichen seiner Unschuld, aber nach der Mahlzeit würde ich zumindest Gelegenheit haben, mit ihm zu sprechen. Er starrte so entschlossen in die Runde, als sei es unter seiner Würde, den Kopf zu senken. Mir fiel auf, dass sich irgendetwas an seiner Erscheinung verändert hatte, aber ich kam nicht darauf, was es war. Am anderen Ende des Tisches entdeckte ich Thomas Allen, der den Kopf so tief geneigt hatte, dass seine Nase fast die Tischplatte berührte, und die Hände so krampfhaft faltete, dass die Knöchel weiß hervortraten.
    »Per Christum Dominum nostrum, Amen «, schloss der rothaarige Junge, und ein gemurmeltes »Amen« erhob sich über
den Tischen. Als sich der Rektor schwerfällig aufrichtete, legte sich eine betretene Stille über den Raum.
    »Gentlemen«, begann Underhill ohne seinen üblichen Pomp. »Im Leben eines jeden Christen kommt eine Zeit, in der Gott in Seiner unendlichen Weisheit unseren Glauben durch Kummer und Leid auf die Probe stellt. So hat Er beschlossen, unserer kleinen christlichen Gemeinde schwere Prüfungen

Weitere Kostenlose Bücher