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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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schien nur leinene Unterhemden zu enthalten. Unbeirrt wühlte ich darin herum, bis meine Finger den hölzernen Boden berührten, und tastete alle vier Ecken ab, entdeckte aber nichts. Ich fluchte leise, wie es aussah, war alles von Wert bereits entfernt worden. Dennoch nahm ich alle Sachen heraus und warf sie auf den Boden, damit ich die Flamme in die Truhe halten und mich überzeugen konnte, dass sie wirklich leer war.
    »Merda !« Ich wollte den Deckel gerade wieder zuklappen, als mir auffiel, dass aus dem Boden der Truhe ein winziges Stück Holz herausgeschnitten worden war. Der Ritz war kaum groß genug, um einen Fingernagel dazwischenzuschieben. Ich setzte die Kerze ab, zog Humphreys Küchenmesser aus dem Gürtel, beugte mich in die Truhe, stieß die Klinge in den Ritz und drückte sie nach oben. Ein leises Klicken ertönte, dann ließ sich der falsche Boden herausnehmen und gab den Blick auf ein darunter verborgenes Geheimfach frei. Meine Finger glitten über ein Bündel Papiere, bevor sie auf etwas Scharfes trafen, das in meine Haut stach und mich die Hand rasch zurückziehen ließ, aus Angst, dass es sich um eine Falle handelte. Behutsam griff ich erneut in die Truhe, beförderte den stacheligen Gegenstand ans Licht und pfiff durch die Zähne, als ich sah, worum es sich handelte.
    Es war eine Peitsche mit kurzem Griff, an dem vielleicht vierzig oder fünfzig mit eingeflochtenen harten Knoten versehene Schnüre befestigt waren. Durch jeden Knoten war ein zu einem Haken gebogenes Drahtstück gezogen, und an vielen davon klebten getrocknetes Blut und winzige Fleischfetzen. Der Anblick
des grausamen Instruments jagte mir einen Schauer über den Rücken, zugleich fiel es mir wie Schuppen von den Augen, und mein nebulöser Verdacht wich glasklarer Überzeugung.
    Ich griff erneut in das Geheimfach und entnahm ihm das Papierbündel. Es entpuppte sich als ein Päckchen eselsohriger, schmutziger, von einem zerfransten Band zusammengehaltener Briefe. Ein Blick auf die verblasste Tinte verriet mir, dass sie in einer Kombination von Symbolen und Zahlen verfasst worden waren, aber ich brauchte sie nicht zu entziffern, um zu wissen, dass es sich um die Briefe handelte, nach denen in Roger Mercers und James Coverdales Kammer gesucht worden war. Ferner steckte in dem Bündel noch ein anderes Dokument aus Pergament, das mit Wachs versiegelt war. Das Siegel war intakt, und ich konnte in dem schwachen Licht kein erkennbares Zeichen ausmachen, aber ich zögerte nur einen Moment, bevor ich es erbrach, den Pergamentbogen auseinanderfaltete und ihn neben den Kerzenstummel hielt. Die Flamme war jetzt so schwach, dass sie die kunstvoll verschnörkelte Schrift kaum beleuchtete, aber der erste Satz reichte aus, um mir den Atem stocken zu lassen.
    Pius, Bischof, Diener der Diener Gottes, zur bleibenden Erinnerung. Regnans in Excelsis , begann er, und beinahe hätte ich den Bogen fallen lassen, da meine Hände plötzlich heftig zitterten. Ich wusste sofort, auf was ich da gestoßen war. Dies war das vielleicht verhängnisvollste Dokument, das ein Engländer besitzen konnte: eine Kopie der päpstlichen Bulle, die Papst Pius V. vor ungefähr dreizehn Jahren erlassen hatte. Darin erklärte er Königin Elisabeth zur Ketzerin und exkommunizierte sie aus der katholischen Kirche. Die Bulle endete damit, dass er den Untertanen der Königin verbat, sie als ihre Monarchin anzuerkennen oder ihr zu gehorchen. Mit diesen Worten hatte Pius nichts anderes getan, als dazu aufzurufen, sie zu stürzen. Die radikalen Katholiken an den europäischen Seminaren betrachteten diese Bulle als Lizenz, die Königin im Namen Gottes zu töten. Es galt schon als Hochverrat, eine Kopie davon nach England
zu bringen, und demjenigen, bei dem sie gefunden wurde, drohte unweigerlich die Todesstrafe. Ich stieß langsam den Atem aus, dann erstarrte ich, weil ich meinte, draußen vor dem Fenster ein Geräusch zu hören. War ich geradewegs in die nächste Falle getappt? Wer auch immer die Kammer durchwühlt hatte, hatte es zweifellos auf diese Papiere abgesehen, aber das Geheimfach nicht entdeckt. Vielleicht beobachtete er den Raum immer noch und hatte meine Kerze gesehen. Ich hielt den Atem an und vernahm erneut eine leise Bewegung draußen. Dann zerriss ein hoher, unnatürlicher Schrei die Luft, gefolgt von einem zweiten, der klang, als kreische ein Kind vor Schmerz. Ich sank zitternd zu Boden und lachte über meine eigene Schreckhaftigkeit – es waren nur zwei Füchse,

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