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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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ich aus der anderen Richtung immer noch mit Jenkes oder einem seiner Handlanger rechnete, die mich töten wollten. Nach einigen Augenblicken öffnete ein Stalljunge mit zerzaustem Haar und einer Kerze in der Hand die Tür einen Spalt breit. Seine Augen blickten schlaftrunken, aber gespannt.

    »Sir?«, murmelte er, aber ich drängte mich schon unsanft an ihm vorbei in den Hof des Stalls.
    »Ich brauche mein Pferd, Sohn, und zwar sofort. Das, das letzten Freitag gebracht wurde, das graue. Ich bin Doktor Bruno und gehöre zur königlichen Abordnung.«
    Die Augen des Jungen wurden noch größer, und er biss sich auf die Lippe.
    »Ich darf niemandem ein Pferd geben, Sir, wenn Master Clayton nicht hier ist. Und der Graue ist ein sehr schönes Tier.«
    »Das ist er. Er stammt aus den Ställen der Königin. Aber ich schwöre, dass ich ihn nicht stehlen will. Und jetzt bring ihn her.«
    »Ich werde Prügel bekommen, Sir«, erwiderte er flehend. Ich konnte ihm seine Vorsicht nicht verübeln; abgesehen von der frühen Stunde sah ich mit meinem zerschundenen Gesicht und dem blutenden Hals auch nicht wie ein hochrangiger Besucher aus. Ich hasste es, zu diesem Mittel greifen zu müssen, aber ich zog erneut das Messer aus meinem Gürtel und ließ ihn einen Blick darauf werfen. Der arme Junge sah sich um, als könne ihm von irgendwoher jemand zu Hilfe kommen.
    »Bitte«, fügte ich sanfter hinzu, als könne das die Situation verbessern.
    Er zögerte einen Moment, dann entschied er, dass die Aussicht auf Schläge dem Messer vorzuziehen war.
    »Es dauert ein paar Minuten, ihn zu satteln.«
    »Dann lass es. Ein Geschirr reicht, aber beeil dich bitte, ich habe keine Zeit zu verlieren.«
    Ich fuhr zur Tür herum, weil ich gemeint hatte, Schritte zu hören, aber es war nur das Scharren von Pferdehufen gewesen. Doch meine Angst schien sich auf den Jungen zu übertragen; er nickte stumm und eilte davon, um das Halfter des Pferdes zu holen. Ich trat von einem Fuß auf den anderen und biss mir auf die Lippe, während ich das Tor zum Hof im Auge behielt. Auf die Schmerzen in meiner Hand, an den Schultern, am Hals und nach dem Gerangel mit Slythurst auch noch im Rücken achtete ich gar nicht, für mich zählte im Moment nur, dass ich nicht
festgenommen wurde. Ich hoffte, es war die richtige Entscheidung gewesen, Cobbett zu vertrauen, aber ich sah ein, dass er recht hatte: Auch wenn ich selbst zum Christ Church geritten wäre, hätte ich Sidney um diese Zeit nicht zu Gesicht bekommen und hätte mein kostbares Päckchen nur beim dortigen Pförtner lassen können, während Slythurst die Constables und die Stadtwächter informiert hätte, dass ein Dieb aus dem Lincoln geflohen war, und man hätte mich nie die Stadttore passieren lassen. Ich konnte nur beten, dass Slythurst die Papiere nicht abfing, bevor Cobbetts Bote sie abgeliefert hatte.
    Der Junge kehrte zurück. Er führte mein Pferd an seinem samtenen Geschirr, dessen Messingglöckchen leise in der Stille klingelten. Das Tier wirkte träge und alles andere als erfreut darüber, im Dunkeln gestört worden zu sein. Ich führte es zu einem Holzklotz in der Mitte des Hofes und kletterte dann auf seinen Rücken. Es tänzelte überrascht und schnaubte protestierend, aber ich hielt die Zügel fest, bis es sich fügte. Der Junge hielt mir das Tor auf, ich stieß dem Pferd die Fersen in die Flanken, wendete es und ritt in zum Lincoln College entgegengesetzter Richtung davon.
    Am anderen Ende öffnete sich die Cheney Lane in die North Street, und das schwache Licht am Himmel zu meiner Linken leitete mich gen Osten. Jetzt konnte ich genug sehen, um die überdachten Stände des Cornmarket vor mir auszumachen, und ich trieb das Pferd zu einem Trab an, was ihm nicht zu behagen schien, denn der schlammige Untergrund unter seinen Hufen war gefährlich glitschig. An der Kreuzung Carfax lenkte ich es links in die High Street, und kurz darauf sah ich das Osttor vor mir, durch das wir erst fünf Tage zuvor in die Stadt gelangt waren und dessen Vorwerk die Straße nach London schützte. Auf der Brustwehr über dem Turm brannte ein Licht. Ich wusste, dass jetzt alles davon abhing, ob ich ungehindert an den Wächtern vorbeikam. Slythurst dürfte inzwischen die Dienstboten der Universität alarmiert haben, und wer immer mich auch verfolgte, er konnte nicht weit hinter mir sein.

    Als ich das Pferd zügelte, trat ein Mann in städtischer Livree, der einen Pikenschaft schwenkte, aus dem Torhaus.
    »Wer da?«, bellte

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