Ketzer
auf größere Solidarität seitens seiner Freunde. Da erlebte er freilich eine herbe Enttäuschung.«
»Ich denke, der Rektor hat seine Pflicht schweren Herzens erfüllt, James.« Godwyn warf Coverdale einen viel sagenden Blick zu. »Es hat uns alle schwer getroffen, seine Verfehlungen öffentlich bekennen zu müssen.«
»Roger Mercer konnte seine Aussage gar nicht schnell genug machen.« Coverdale betrachtete den weiter unten am Tisch sitzenden Roger, der sich angeregt mit Florio unterhielt, mit kaum verhohlenem Zorn. Ich sah, wie Slythurst die Augen verdrehte, als habe er diesen Satz schon des Öfteren gehört. »Und dabei war er angeblich Allens engster Freund. Trotzdem hat er seine dreißig Silberlinge bekommen, nicht wahr?«
»Silberlinge?«, wunderte ich mich.
»Seine Aussage hat Allen das Genick gebrochen, und dafür hat er dessen Amt übernehmen dürfen«, stellte Coverdale bitter fest.
»Vielleicht sollte ich Doktor Bruno erklären, dass traditionsgemäß der Proktor das Amt des stellvertretenden Rektors antritt, wenn dieser zum Rektor aufsteigt«, warf Godwyn ein. »So wurde immer verfahren – zuvor wird natürlich eine Versammlung der Fellows einberufen, doch nur aus formellen Gründen.«
»Aber da unser momentaner Rektor vom Earl of Leicester in sein Amt berufen wurde und seine willige Marionette ist«, zischte Coverdale gedämpft, »setzt er sich über sämtliche Traditionen hinweg und ernennt die Männer, die ihm am nützlichsten sind. Und wir wissen alle, warum sich Leicester für Underhills Wahl eingesetzt hat«, fügte er bedeutungsschwanger hinzu.
»James«, warnte Slythurst.
»Ich dachte, das beruhe auf religiösen Motiven«, sagte ich. »Um das Geschwür des Papismus auszubrennen.«
»Das ist der offizielle Grund.« Coverdale winkte ab. »Gleichwohl besitzt die Universität Herrenhäuser und Parzellen fruchtbaren Ackerlandes in Oxfordshire, müsst Ihr wissen – von denen viele sehr günstig an Freunde Leicesters verpachtet sind, nicht wahr, Master Quästor?«
»Du vergisst dich, James«, erwiderte Slythurst glatt. »Doktor Bruno hier ist ein Freund des Earls of Leicester.«
»Ich bin ihm nie persönlich begegnet«, widersprach ich hastig. »Ich reise nur mit seinem Neffen.«
»Auf jeden Fall«, Coverdale erwärmte sich sichtlich für das Thema, »verliert die Universität dadurch viel Geld und muss diese Verluste ausgleichen, indem sie Legionen zahlender Gentlemen-Commoners, sprich zahlender Studenten, aufnimmt, die weder die Neigung noch die Begabung zum Lernen haben und sich in der Stadt herumtreiben, spielen und herumhuren und die Universität in Verruf bringen.«
»Das ist kein angemessenes Thema bei Tisch.« Slythursts Stimme klang gepresst vor Ärger. Er schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte, um seinem Unmut Luft zu machen. »An diesen Verpachtungen, wegen der Ihr Euch so aufregt, ist nichts Ehrenrühriges, aber die Finanzlage der Universität dürfte
unseren Gast schwerlich interessieren. Ich darf um ein bisschen mehr Diskretion bitten, Gentlemen.«
Die Fellows senkten verlegen den Blick. Unbehagliches Schweigen machte sich breit.
»Doktor Coverdale«, wandte ich mich mit einem diplomatischen Lächeln an den Proktor. »Ihr spracht gerade von der Verhandlung gegen Edmund Allen – fahrt doch bitte fort.«
Coverdale wechselte einen Blick mit Slythurst, den ich nicht zu deuten vermochte, dann faltete er die Hände.
»Ich sagte nur, dass Mercers Aussage gegen Allen bei dem Prozess große Bedeutung beigemessen wurde, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil er Allens engster Vertrauter war. Der Rektor brauchte Mercers Unterstützung, und dieser erhielt im Gegenzug Allens Posten.«
»Der eigentlich an Euch hätte gehen sollen«, hakte ich nach.
Coverdale legte eine fleischige Hand auf die Brust und setzte eine Miene falscher Bescheidenheit auf.
»Wenn ich von grobem Unrecht spreche, dann geschieht das nicht um meinetwillen, Doktor Bruno, sondern wegen des Traditionsbruchs. Diese Universität wurde auf Traditionen gegründet, und wenn Einzelne diese nicht respektieren, weil der eigene Vorteil mehr für sie zählt, dann droht unsere Gemeinschaft zu zerfallen.«
»Edmund war mit vielen von uns befreundet«, mischte sich Godwyn mit leisem Bedauern ein. Eine trübe Stimmung hatte sich über unsere Gruppe gelegt. Erneut hörte ich Sophia, Florio und Roger in Gelächter ausbrechen. »Bei den Studienanfängern war er auch sehr beliebt – eine Schande, dass er sich von
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