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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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von diesen unseligen Ufern geboren zu werden! Und wie können sie es wagen, über meinen Akzent zu lachen – was glauben die eigentlich, wo die lateinische Sprache ihren Ursprung hat? Asini pedanti! « Ich schimpfte auf dem ganzen Rückweg zum Torhaus des Lincoln auf Italienisch vor mich hin, bis mein Zorn halbwegs verraucht war. Zum Glück begegnete mir niemand, er hätte sich zu Tode erschreckt.
    Schweren Herzens stieß ich das Haupttor auf und machte beim Pförtnerhaus Halt, um Cobbett zu fragen, ob ich mir eine Laterne für mein Zimmer ausborgen dürfte. Der alte Pförtner döste friedlich in seinem Stuhl. Ein Krug mit Ale stand auf dem Tisch, und die alte Hündin hatte den Kopf auf sein Knie gelegt.
Ich hüstelte, woraufhin er hochschreckte und sein Wams glatt strich.
    »Oh, verzeiht, Doktor Bruno, ich habe Euch nicht gehört. Ich war zu tief in Gedanken versunken.« Er zwinkerte, und ich rang mir ein Lächeln ab.
    »Guten Abend, Cobbett. Darf ich fragen, ob Ihr eine Laterne entbehren könnt?«
    »Natürlich, Sir.« Cobbett hievte seine massige Gestalt mühsam vom Stuhl hoch und schlurfte auf einen der hölzernen Schränke zu, die die Wände säumten. »Ihr seid früh zurück, Sir, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf – ich dachte, zu Ehren der königlichen Abordnung fände heute im Christ Church College ein großes Fest statt?«
    »Ich bin müde«, erwiderte ich in der Hoffnung, Fragen bezüglich der Disputation zu entgehen.
    Cobbett nickte mitfühlend.
    »Kein Wunder nach allem, was heute Morgen geschehen ist. Wollen wir hoffen, dass wir diese Nacht alle ruhig in unseren Betten schlafen können, eh? Eigenartig«, fuhr er fort, während er das Glasgehäuse der Laterne öffnete, um die Kerze mit seiner eigenen anzuzünden, »Doktor Coverdale kam auch so früh zurück. War in großer Eile, ich sah ihn durch das Tor stürmen, und deshalb sagte ich zu mir, sie müssen es heute Abend aber ziemlich eilig gehabt haben, zum Ende zu kommen. Normalerweise ufern solche Debatten nämlich endlos aus, wenn die Herren erst einmal angefangen haben, sich am Klang ihrer Stimmen zu berauschen – nehmt es mir nicht übel, Sir. Nachdem jedoch später niemand mehr kam, schloss ich daraus, dass er wohl etwas Privates zu erledigen hatte.« Er ließ ein kehliges Kichern hören.
    »Ich fürchte, Doktor Coverdale hatte Wichtigeres zu tun als meinem armseligen Vortrag zu lauschen.« Es gelang mir nicht, den Groll in meiner Stimme zu unterdrücken.
    »Nun, ich hoffe, Gott schenkt Euch heute Nacht einen ruhigen Schlaf, Sir.« Cobbett reichte mir die flackernde Laterne. »Ich nehme an, Ihr bleibt jetzt bis zur gerichtlichen Untersuchung
bei uns? Ihr werdet Euch bald ganz wie zu Hause fühlen.«
    »Das bezweifle ich nicht«, erwiderte ich tonlos und wünschte Cobbett eine gute Nacht. Erst da kam mir die Bedeutung seiner Worte richtig zu Bewusstsein. Wie lange würde man mich hier festhalten, fragte ich mich, und war ich gesetzlich verpflichtet, sogar dann zu bleiben und eine Aussage zu machen, wenn Sidney und der Palatin am vereinbarten Tag abreisten?
    Hinter zahlreichen Fenstern, die den kleinen quadratischen Hof säumten, brannte warmes bernsteinfarbenes Kerzenlicht, doch ich konnte das Unbehagen nicht abschütteln, das ich seit der Abreise aus London empfand. Irgendetwas Furchtbares ging hier vor, und ich ahnte, dass es noch nicht vorüber war. Ich stellte mich vor die unbeleuchteten Fenster, um mich kurz umzusehen, da beschlich mich wieder das Gefühl, beobachtet zu werden.
    Das Treppenhaus zu meiner Kammer war still und so dunkel, dass ich mich ohne Cobbetts Laterne wie ein Blinder hätte vorwärtstasten müssen; so dunkel, dass ich das Stück Papier übersehen hätte, das unter meiner Tür hindurchgeschoben worden war, wenn ich nicht beim Hineingehen darauf getreten wäre und ein unerwartetes Rascheln gehört hätte. Ich bückte mich, um es aufzuheben, und hielt einen sorgsam gefalteten Bogen in der Hand, aus dem, als ich ihn auseinanderfaltete, ein weiterer kleiner Papierstreifen von der Breite eines Bandes herausglitt und zu Boden flatterte. Im dämmrigen Licht der Laterne konnte ich auf dem großen Blatt Reihen konzentrischer Kreise ausmachen. Neugierig geworden machte ich mich daran, sämtliche Kerzen der Wandleuchter im Raum anzuzünden, um in deren Licht die seltsame Botschaft eingehender zu untersuchen. Sowie ich sie klar erkennen konnte, wuchs meine Verwirrung: Ich wusste nur zu gut, was ich da vor mir sah, verstand

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