Ketzer
Church College feiern, Bruno?«
»Ich war nicht in der Stimmung dazu. Leider muss ich gestehen, dass es Euer Vater war, der heute Abend das Publikum mitgerissen hat.« Ich nahm Platz und rückte näher an die züngelnden Flammen heran. »Zumindest in diesem Punkt kann er sich als Sieger betrachten.«
»Ist er über jedes Eurer Argumente hinweggegangen, ohne sich die Mühe zu machen, wirklich zuzuhören?«, fragte sie voll bitteren Mitgefühls. »Mein Vater hat kein Talent zum Debattieren, Bruno«, fuhr sie fort, ohne meine Antwort abzuwarten. »Er ist nur felsenfest davon überzeugt, recht zu haben, und es ist erstaunlich, wie effektiv das beim Abschmettern von Argumenten sein kann. Früher habe ich das für ein Zeichen von Arroganz gehalten, aber als ich älter wurde, begann ich zu ahnen, dass es Furcht sein könnte.«
Ich hob fragend eine Braue. Für eine solch junge Frau war sie erstaunlich scharfsinnig.
»Er war sein ganzes Leben lang von mächtigen Männern wie dem Earl of Leicester abhängig, wie so viele andere Gelehrte und Geistliche auch.« In ihrer Stimme schwang ein Anflug von Mitleid mit. »Und er weiß nur zu gut, wie wetterwendisch diese Leute sind. Also lebt er in der ständigen Angst davor, sein Amt zu verlieren – und es haben sich in den letzten paar Jahren an der Universität so viele Splittergruppen gebildet, so viele Menschen wurden denunziert, weil sie in der falschen Gesellschaft gesichtet worden sind, die falschen Bücher gelesen oder eine Bemerkung gemacht haben, die falsch ausgelegt wurde.« Sie seufzte. »Der Sturz des armen Edmund Allen hat ihn sehr getroffen.«
»Warum – ist er etwa auch ein heimlicher Anhänger Roms?«
»Lieber Gott, nein, er wäre der Letzte, der …« Sie schüttelte nachdrücklich den Kopf, um zu unterstreichen, wie absurd dieser Gedanke wäre. »Doch er hat gesehen, wie schnell die Fellows eine geschlossene Front gegen Allen gebildet hatten, obwohl er ihr Freund war. Die Angst, mit seinen Vergehen in Verbindung gebracht zu werden, war wohl stärker, sie wollten vor allem ihre eigene Haut retten. In diesen Zeiten müssen Beschuldigungen nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen, um Strafen nach sich zu ziehen. Mein Vater schätzt Stabilität mehr als alles andere und glaubt, jede Veränderung bedeute gleichsam Verschlechterung. Er ist kein schlechter Mensch, aber er schielt dauernd über seine Schulter, weil er fürchtet, verfolgt zu werden, und deshalb verteidigt er seine Überzeugungen wie eine Bärin ihre Jungen. Das ist der eigentliche Grund, weshalb er oft so anmaßend wirkt.«
Sie grinste und beugte sich vor, um das Feuer zu schüren. In diesem Moment klopfte es leise an der Tür, und Diener Adam trat mit einem Krug Wein und zwei Bechern ein und stellte alles auf einen niedrigen hölzernen Schemel neben dem Feuer.
»Danke, Adam. Würdest du bitte aus der Küche noch Brot, Käse und kaltes Fleisch holen lassen? Unser Gast ist sicher hungrig.«
Ich nickte dankbar, denn mir wurde erst jetzt bewusst, dass ich durch mein schmollendes Fernbleiben von dem Fest um mein Abendessen gekommen war, und mein Magen begann fordernd zu knurren.
Adam verbeugte sich, warf mir einen giftigen Blick zu und ließ die Tür absichtlich offen, nachdem er den Raum verlassen hatte. Sophia erhob sich, um sie zu schließen, und strich ihr Kleid glatt. Ich schenkte uns Wein ein.
»Ihr habt an die Tür geklopft, als wolltet Ihr Tote aufwecken, Bruno.« Sophia nahm auf dem Stuhl mir gegenüber Platz und zog die Füße wie eine Katze unter sich. »Und Euer Gesicht war totenbleich – ich hatte schon Angst, Ihr würdet eine neue Schreckensnachricht bringen.«
»Das tue ich zum Glück nicht.« Ich trank einen großen Schluck Wein.
»Was führt Euch dann so dringend hierher? Ist Euch eine schlagfertige Erwiderung eingefallen, die Ihr während der Disputation anzubringen vergessen habt und nun meinem Vater lieber spät als nie entgegenschleudern wollt?« Mit einem schelmischen Lächeln deutete sie auf die Papiere, die ich noch immer in der Hand hielt.
»Nein – schlagfertige Retourkutschen werden mir im Lauf der Nacht einfallen«, erwiderte ich nur halb im Scherz, ehe ich ihr den großen Papierbogen reichte. »Wie denkt Ihr darüber?«
Sie überflog die Zeichnung flüchtig und blickte verwirrt zu mir auf.
»Das ist eine auf den Theorien von Kopernikus basierende Himmelskarte, nicht wahr?«
Ich nickte.
»Aber warum bringt Ihr sie in solcher Eile her? Die Debatte ist
Weitere Kostenlose Bücher