Key of Valor 03 - Zeit Des Gluecks
der Wind seufzte in den kahlen Ästen.
Und dann entdeckte sie auf einmal den weißen Hirsch, der sie aus smaragdgrünen Augen ansah.
»Oh, mein Gott.« Sie blieb ganz still sitzen und traute sich kaum zu atmen.
Auch Malory und Dana hatten einen weißen Hirsch gesehen, fiel ihr ein, und Jordan hatte gesagt, das sei ein traditionelles Element der Suche. Aber sie hatten das Tier auf Warrior’s Peak gesehen und nicht in den Wäldern von West Virginia.
»Das bedeutet, ich hatte Recht. Ich sollte hierhin kommen. Es muss einfach bedeuten, dass ich Recht habe. Aber was soll ich jetzt tun? Ich will helfen, ich versuche zu helfen.«
Der Hirsch wandte den Kopf und schritt den holperigen Pfad entlang. Mit zitternden Knien stand Zoe auf, um ihm zu folgen.
Es kam ihr so vor, als habe sie so etwas schon einmal geträumt. Nein, nicht genau diese Szene. Sie war im Traum nie einem weißen Hirsch gefolgt. Aber dieses verzauberte Gefühl und den Wunsch, etwas Bedeutsames zu tun, das hatte sie schon einmal erlebt. Nämlich als sie noch geträumt hatte, der Enge und der Verzweiflung des Lebens hier zu entfliehen.
Hatte sie damals ihre Hoffnungen auf James gesetzt? Hatte sie ihn geliebt oder ihn nur benutzt, um dieser Welt hier zu entkommen?
Erschreckt blieb sie stehen und presste die Hand aufs Herz. »Ich weiß nicht«, flüsterte sie. »Ich weiß es wirklich nicht.«
Der Hirsch blickte sich nach ihr um, dann setzte er zum Sprung über einen kleinen Bach an und war verschwunden.
In der Hoffnung, ihn richtig verstanden zu haben, schlug Zoe den Weg nach links ein und gelangte bald darauf auf den Kiesweg, der zum Wohnwagenpark führte.
Wie im Wald hatte sich auch hier kaum etwas geändert. Andere Gesichter natürlich, und hier und dort ein paar neue Wohnwagen, aber im Großen und Ganzen sah es so aus wie früher.
Durch die geöffneten Fenster drangen Radio- und Fernsehgeräusche, ein Baby schrie, und irgendwo heulte ein Motor auf.
Der Wohnwagen ihrer Mutter war von einem stumpfen, blassen Grün, mit einem weißen Metallvordach über der Seitentür. Das Auto, das daneben parkte, hatte einen zerbeulten Kühler.
Sie hatte noch nicht die Sommertür herausgenommen, stellte Zoe fest. Sie quietschte laut, wenn man sie öffnete, und klapperte, wenn sie zufiel. Zoe stieg die Zementblöcke hinauf, die ihre Mutter als Treppe benutzte, und klopfte.
»Herein. Ich bereite gerade alles vor.«
Die Fliegengittertür quietschte, als Zoe sie aufmachte, und die innere Tür klemmte ein wenig. Zoe stieß sie auf und trat ein.
Ihre Mutter stand in der Küche, ihrem Arbeitsplatz. Auf der kurzen Theke am Herd türmten sich Flaschen, Schalen, eine Plastikkiste mit bunten Lockenwicklern für die Dauerwelle und ein Stapel Handtücher, die an den Rändern bereits ausgefranst waren, so oft hatte sie sie schon gewaschen.
Die Kaffeemaschine war an, und in einem Aschenbecher aus grünem Glas qualmte eine Zigarette.
Mama war viel zu dünn, war Zoes erster Gedanke. Sie trug enge Jeans und ein ausgeschnittenes schwarzes Top, das ihren knochigen Körperbau betonte. Ihre Haare waren kurz geschnitten und neuerdings rot gefärbt.
Mit dem Rücken zur Tür schlurfte sie in ihren Pantoffeln zur Kaffeemaschine, um sich einen Kaffee einzuschenken. Sie trug die Hausschuhe bestimmt, weil sie eine Dauerwelle legen und lange auf den Beinen sein würde.
Im Fernsehen drüben im Wohnbereich lief eine der morgendlichen Talkshows, in der es anscheinend um Trauer und Wut ging.
»Entweder sind Sie zu früh dran oder ich zu spät«, sagte Crystal. »Ich habe noch nicht meine zweite Tasse Kaffee getrunken.«
»Mama.«
Mit dem Becher in der Hand drehte Crystal sich um.
Sie hatte sich schon zurecht gemacht, stellte Zoe fest. Ihre Lippen waren rot geschminkt, die Wimpern schwarz von Wimperntusche. Trotzdem wirkte ihr Gesicht müde und alt.
»Ach was, sieh mal einer an, wer da hereingeschneit ist.« Crystal trank einen Schluck und musterte ihre Tochter über den Rand ihrer Tasse. »Hast du den Jungen mitgebracht?«
»Nein. Simon ist in der Schule.«
»Stimmt etwas nicht mit ihm?«
»Nein, es geht ihm gut.«
»Mit dir?«
»Nein, Mama.« Sie trat auf ihre Mutter zu und küsste sie auf die Wange. »Ich hatte hier in der Nähe zu tun, und da bin ich einfach mal vorbeigekommen. Hast du gleich eine Kundin?«
»Ja, in ungefähr zwanzig Minuten.«
»Kann ich einen Kaffee haben?«
»Bedien dich.« Crystal kratzte sich die Wange und sah zu, wie Zoe sich einen Becher Kaffee
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