Kill Decision
irgendeiner Weise ihre Schuld? Sie hatte Primärforschung an der Natur betrieben. Haben wir jetzt schon Angst vor Ameisen? Die Ameisengesellschaft gab es schon zig Millionen Jahre – schwer vorstellbar, dass sie plötzlich so existenzielle Bedeutung erlangen sollte. Und wie zum Teufel sollte man Wissen kontrollieren – zumal in einer Welt, in der Amerikas technologischer Vorsprung rapide schrumpfte? Der Fortschritt der anderen war nicht aufzuhalten.
Es klopfte, und die Bürotür hinter ihr ging auf. Sie drehte sich gar nicht erst um. Der bärtige «Odin» trat neben sie. Auch er spreizte die Lamellen der Jalousie und blickte hinaus.
«Ihre Maschine ist demnächst startbereit.»
«Meine Maschine?»
«Sie fliegen zurück in die Staaten.»
Sie nickte düster. «Aha.» Sie hatten seit ihrem Gespräch an Bord der Otter kein Wort mehr gewechselt. Sie war zu schockiert und verwirrt gewesen. Doch in den Stunden seither hatte sie etwas rationaler über die Implikationen nachgedacht.
«Ich muss schnellstmöglich meinen Vater anrufen, um ihm zu sagen, dass mir nichts passiert ist. Die Telefonleitungen hier sind alle tot.»
«Sie begreifen die Situation nicht ganz.»
«Hören Sie, Odin – oder wie immer Sie heißen –, ich muss meinen Vater anrufen.»
«Strikte Abschottung. Bis auf weiteres ist Ihnen gemäß Titel zehn des US-Bundesgesetzbuchs jeglicher Kontakt mit Außenstehenden untersagt.»
Sie starrte ihn ungläubig an, versuchte aber trotz des aufsteigenden Zorns, Ruhe zu bewahren. «Es besteht kein Grund, mich so zu behandeln. Ich will Ihnen ja gern alles erzählen, was ich über mein Forschungsgebiet weiß, aber Sie müssen doch verstehen, dass ich gerade bei einer Explosion spurlos verschwunden bin. Meine Familie muss wissen, dass ich noch lebe.»
Er schüttelte den Kopf. «Das wird nicht möglich sein. Das US-Außenministerium hat Professor Linda McKinney für ‹nach einem Bombenanschlag in Ostafrika vermisst› erklärt. Es werde davon ausgegangen, dass es sich um einen Racheakt für Kerbela handle.»
«O Gott …» McKinney fühlte, wie ihr die Tränen kamen, wollte aber vor ihm keine Schwäche zeigen. Ihre Stimme klang belegt, kaum noch beherrschbar. «Der Tod meiner Mutter hat meinen Vater beinahe umgebracht. Sie haben ja keine Vorstellung, was das hier mit ihm macht. Bitte, lassen Sie mich –»
«Ich weiß, dass es noch schlimmer für ihn wäre, wenn Sie tatsächlich tot wären. Und da Foxy und ich den Hals riskiert haben, um Sie zu retten … aber, bitte, gern geschehen.»
McKinney versuchte, ihre Stimme unter Kontrolle zu bringen. Die Wut half. «Ich bin Ihnen ja dankbar, dass Sie mich gerettet haben, aber es gibt keinen Grund, warum ich nicht –»
«Es gibt hundert Gründe.»
McKinney starrte ihn an, schüttelte dann den Kopf. «Nein. Ich lasse mir von Ihnen keine Schuldgefühle einreden. Ich habe keine biochemischen Waffen entwickelt, sondern mich mit Ameisen beschäftigt. Wenn Leute Grundlagenforschung missbrauchen, ist das nicht mein –»
«Rationalisieren ist ein nützlicher Überlebensinstinkt, ändert aber, was mich betrifft, nichts.»
McKinney funkelte ihn finster an. Sie hatte das Gefühl, dass die Wände näher auf sie einrückten.
Er ließ einen Moment verstreichen. «Ich nehme an, Sie haben Fragen.»
McKinney atmete tief durch, um sich zu beruhigen. «Wohin fliege ich?»
«Sie sind einer geheimen Operation angegliedert worden. Unser Auftrag ist es, den Ursprung dieser Drohnenangriffe zu identifizieren. Wir glauben, dass Sie uns helfen können, das Verhalten dieser Dinger vorherzusagen, was es uns ermöglichen könnte, eins davon unversehrt in die Hände zu kriegen – mit seinem gesamten Quellcode –, was uns wiederum zu den Hintermännern führen könnte.»
Sie suchte nach einer vernünftigen Reaktion auf aberwitzige Umstände, fand aber keine. Nichts in ihrem erfahrungsreichen Leben hatte sie hierauf vorbereitet.
Er musterte sie, und sein hartes Gesicht wurde etwas weicher. Er bedeutete ihr, sich auf die Kante des Schreibtischs neben ihr zu setzen. «Kann ich Ihnen etwas Wasser holen oder eine Tasse Kaffee? Tee?»
Sie schüttelte den Kopf und lehnte sich an die Schreibtischkante.
Er setzte sich auf den Rand des Schreibtischs gegenüber und verschränkte die Arme. «Ich will Ihnen erklären, wie ich Sie gefunden habe. Vielleicht verstehen Sie dann, warum Sie momentan mit niemandem Verbindung aufnehmen sollten, der Ihnen etwas bedeutet. Diejenigen, die hinter
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