Kill Whitey
unterwegs, als wir abgehauen sind. Du hast die Sirenen gehört. Sie werden sich zusammenreimen, dass ich dort wohne, und dass wir vom Tatort geflüchtet sind. Jeder hat uns gesehen. Wir sind am Arsch.«
Sondra verschränkte die Arme vor der Brust und zitterte. Ich schaltete die Heizung ein. Warme Luft blies auf unsere nackten Füße. Wir mussten von der Straße runter, und zwar schnell.
»Wir sind nicht nur Verdächtige«, fuhr ich fort, »Whitey lebt außerdem noch. Ich habe ihm in die Schulter geschossen. Man wird ihn am Tatort erwischen. Wenn wir jetzt aussagen, kann man ihn verhaften, sobald ein Arzt die Schulter behandelt hat.«
Sondra murmelte etwas auf Russisch und vermied es, mich anzusehen. Stattdessen beobachtete sie, wie draußen die Nacht vorbeizog.
»Was sagst du?«
»Ich sage, dass er nicht wird sein da, wenn Polizei kommt. Whitey wird sein weg.«
»Er ist verwundet. So schnell kann er unmöglich flüchten. Er hat eine Menge Blut verloren.«
»Er wird sein weg, wenn sie ankommen. Du nicht kennst Whitey.«
Damit wandte sie sich wieder ab und starrte aus dem Fenster. Ich war frustriert, entschied jedoch, nicht weiter nachzuhaken. Sie hatte genauso viel Mist durchgemacht wie ich – tatsächlich sogar mehr. Ich musste behutsam vorgehen.
Froh darüber, dass ich mein Handy im Jeep gelassen hatte, tastete ich danach.
»Nein«, flehte Sondra. »Du hast versprochen, Larry!«
»Entspann dich. Ich rufe nicht die Bullen an, sondern Jesse.«
»Wer ist dieser Jesse?«
»Mein Freund. Ich muss wegen ... Darryl Bescheid geben. Und er ist im Odessa . Ich muss ihm sagen, dass er sich schleunigst von dort verziehen soll.«
Sondra erbleichte.
»Was ist?«
»Dein Freund ist in Lokal?«
»Ja.«
»Whitey und Otar wissen, dass er ist dein Freund?«
Mir drehte sich der Magen um. Krampfhaft umklammerte ich das Mobiltelefon.
»Ja«, antwortete ich schließlich. »Sie wissen es. Sie haben uns schon öfter mit ihm zusammen gesehen.«
»Dann dein Freund ist schon tot. So Whitey uns hat gefunden. Wir sind von Lokal geflüchtet, er ist gegangen hinein und hat deinen Freund sich geholt.«
»Jesse würde uns nicht verpfeifen.«
»Was ist ›verpfeifen‹?«
»Verraten. Er würde uns nicht verraten.«
» Da . Whitey lassen Otar und die anderen ihn hinten foltern, bis er sagt, wo du lebst. Dann sie ihn foltern weiter, bis er tot.«
Der Druck in mir steigerte sich. Meine Kiefer fühlten sich angespannt an, meine Augen so, als könnten sie gleich platzen. Mein Mund wurde trocken. Was Sondra sagte, ergab durchaus Sinn. Ich klappte das Handy auf und drückte die Kurzwahltaste für Jesses Mobiltelefon. Es läutete und läutete. Dann meldete sich seine Mailbox.
»Hi, hier ist Jesse. Hinterlass eine Nachricht, dann funke ich zurück. Bis dann.«
Ich legte auf, ohne eine Nachricht zu hinterlassen.
»Großer Gott ...« Meine Lippen fühlten sich geschwollen an. »Darryl. Jesse.«
»Es tut mir leid«, murmelte Sondra.
»Ist nicht deine Schuld.«
» Da , ist es.«
»Lass uns vorerst einfach überlegen, was wir tun sollen. Lass mich eine Weile nachdenken, ja?«
Sondra verzog die Lippen zu einem Schmollmund. »Du bist wütend auf mir, ja?«
»Nein. Ich muss bloß nachdenken. Ehrlich, ich bin nicht wütend auf dich.«
Sie verstummte. Ich konzentrierte mich auf die Straße und versuchte, klar zu denken. Sobald die Polizei am Tatort eingetroffen war und in Erfahrung gebracht hatte, wer ich war, würde man nach uns suchen. Der Jeep bildete ein verflucht großes Ziel. Genauso gut hätte ich mit einer blinkenden Anzeigentafel herumfahren können, auf der stand: Hier sind wir. Kommt und verhaftet uns, bitte. Ich musste uns ein anderes Fahrzeug beschaffen, oder wir mussten zumindest von der Hauptstraße runter und eine Weile untertauchen. Ich nahm die Ausfahrt Mount Zion Road, bog rechts ab und fuhr an der Bezirkshaftanstalt von York vorbei. Die Chancen standen gut dafür, dass ich sie demnächst ausführlicher kennenlernen würde.
Ich dachte an Darryl und erinnerte mich daran, wie sein Kopf mit dem Gesicht auf dem Boden geblieben war, als ich den Rest des Körpers herumdrehte.
Ich stellte die Heizung höher ein. Wärme blies gegen meine Füße.
Es half nichts.
»Es wird alles gut«, sagte ich. »Du wirst schon sehen.«
Sondra erwiderte nichts.
11
Wir fuhren über Nebenstraßen immer tiefer ins südliche York und hielten auf die Staatsgrenze von Maryland zu. Dabei gelangten wir durch East Prospect, Craley und
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